SCHACH – KUNSTHANDWERKLICH BETRACHTET

Die Leidenschaft für das Schach packte Thomas Thomsen früh, aber ein guter Spieler wurde er nie. Brillante Partien faszinieren den promovierten Ingenieur und Sammler aus Passion weniger als kunsthandwerklich gut gefertigte Spiele. Schon bald nachdem er sich entschloss, Schachspiele zu sammeln, entdeckte Thomsen, wie viel ein einzelnes Schachspiel über Kunst, Kultur und Geschichte verraten kann.

Von Harry Schaack

Dr. Thomas Thomsen

Noch heute erinnert sich Thomas Thomsen gerne an seine Zeit in London. Sein Beruf hatte ihn an die Themse geführt und mit großem Vergnügen schlenderte er oft über die zahlreichen Flohmärkte der Hauptstadt des ehemaligen Empires. Besonders angetan hatten es ihm die wunderbaren Schachspiele aus den Kolonien – die er sich als junger Ingenieur aber meist nicht leisten konnte. Doch eines Tages fiel ihm auf dem Portobello-Market ein leicht beschädigtes Exponat ins Auge, in das er sich schnell verliebte. Schließlich kaufte er das handgeschnitzte chinesische Spiel aus Elfenbein „unter großen Opfern“ und restaurierte es mit Begeisterung.

Damals wusste Thomsen noch nicht, dass er später einmal eine der weltweit umfangreichsten Sammlungen von Schachspielen besitzen würde. Das leicht beschädigte chinesische Schmuckstück, das er rückblickend als Jugendsünde bezeichnet, machte den Anfang einer Kollektion, die heute auf einige 100 Spiele gewachsen ist.

CHESS COLLECTORS

Eigentlich sammelt Thomsen kunsthandwerkliche Preziosen. Und im Schachspiel sahen begabte Handwerker aus aller Welt seit jeher eine besondere Herausforderung. So spiegeln sich in der Gestaltung des Brettes und der 32 Figuren die unterschiedlichsten Epochen und Kulturen mit all ihren Eigenheiten und Vorlieben, wobei im Laufe der Jahrhunderte zahllose Techniken und Materialien erprobt wurden.

Trotz dieser Universalität handelt es sich um ein sehr spezielles Sammelgebiet. Um begehrte und seltene Objekte zu bekommen, muss der Sammler informiert sein und braucht gut unterrichtete Kontaktleute – sein eigentliches Kapital. Wesentlich ist der Austausch mit anderen. Und je exotischer das Sammelgebiet, desto schwieriger ist das. Deshalb gründeten einige Amerikaner Mitte der Achtziger Jahre die Chess Collectors International, um dem kleinen Kreis der Sammler von Schachspielen einen Organisationsrahmen zu geben. Seitdem treffen sie sich alle zwei Jahre in aller Welt, initiieren Ausstellungen, Dokumentationen und Publikationen, führen internationale Kongresse durch und beleuchten Zusammenhänge zwischen dem Schach und der Geistes- und Kulturgeschichte. Auf Initiative Thomsens, der heute Präsident der Chess Collectors ist, ging 1991 aus dieser Verbindung die Gruppe Königstein hervor, die sich der Erforschung der Urgeschichte des Schachs widmet. Besonders der kürzlich verstorbene Ricardo Calvo, der diesem Kreis angehörte, hat viel dazu beigetragen, irrige Annahmen über die Herkunft des Spieles zu entkräften.

Elfenbeinfigur Thronender König

Thronender König, Mitteleuropa, 14. Jh., H = 5,6 cm
Foto: Chess Collectors International


ATTRAKTION UND ANTRIEB

Thomsens Leidenschaft für dieses Gebiet speist sich aus vielen Quellen. Für ihn stellt es einen eigenen Kosmos dar, in dem sich eine ganze Reihe seiner Interessen bündeln. Er schätzt die Menschen, die seine Leidenschaft teilen. Was sie alle verbindet, ist die Freude, die Objekte anzusehen und sich damit zu beschäftigen. Außerdem muss ein Sammler einen ‚Eichhörncheninstinkt‘ besitzen. „Er muss gerne etwas aufheben können“, sagt Thomsen. „Die Psychologen versuchen darin immer wieder krankhafte Elemente zu sehen, aber das ist nur in den seltensten Fällen so.“ Seine Sammlerpassion jedenfalls ist bis heute ungebrochen, und die Beziehung zu den Stücken, die Freude daran und das Verständnis werden von Tag zu Tag größer.

Obwohl zwischen den engagierten Sammlern ein ausgeprägter Konkurrenzkampf herrscht, verbindet doch die allermeisten ein freundschaftliches Verhältnis. „Es ist schön, dass bei den meisten Sammlern nach einer Versteigerung kein Neid oder Groll aufkommt“, sagt Thomsen. „Man gönnt dem Sammlerfreund sein ersteigertes Stück und freut sich mit ihm.“

Manchmal ist eine gewisse Beharrlichkeit nötig, um doch noch das Objekt seiner Begierde zu erlangen. Als sich ein amerikanischer Sammler entschloss, seine Kollektion aufzulösen, rief er zuvor Thomsen an und sagte: ‚Du kannst dich erinnern, vor zwanzig Jahren haben wir uns um dieses Spiel bei einer Versteigerung gestritten. Und bevor ich das Spiel einem anderen verkaufe, biete ich es dir an.‘ So gelangte das Spiel doch noch in seinen Besitz.

diverse Spielfiguren

Foto: Chess Collectors International

Die Sammler kommen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten, da Schachspiele als Sammelobjekt für jeden Geldbeutel attraktiv sind. Manche kaufen nur auf Flohmärkten zu günstigen Preisen, andere können es sich leisten, erlesene Stücke bei Auktionen zu erwerben. Doch da mahnt Thomsen zur Vorsicht. Mehr als einmal musste er sich bei Versteigerungen beherrschen, um nur das zu kaufen, was er sich leisten konnte. Das erfordert Disziplin. „Gerade am Anfang, wenn man eine Sammlung aufbaut, meint man, alles haben zu müssen. Später, wenn man schon über eine reife Sammlung verfügt, ist man schon etwas gelassener“, sagt er rückblickend. Doch er ist mit sich im Reinen. Wenn er heute zurückdenkt, bereut er viele Situationen, in denen er Spiele nicht erworben hat. Aber keine einzige, in der er gekauft hat.

Der wissenschaftliche Diskurs ist für Thomsen ein weiteres wesentliches Element seiner Sammelleidenschaft. Thomsen ist neugierig und arbeitet sich gern in ihm unbekannte Themen ein. Als Wissenschaftler hat er gelernt, Dinge zusammenfassen, zu analysieren. Und er teilt seine Erkenntnisse gerne mit anderen und hat bereits eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht. Erst kürzlich konnte er wieder mit einem Klischee aufräumen. Er wies nach, dass eine bestimmte Art von Spielen, nicht, wie zuvor immer vermutet, aus Frankreich stammt, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Deutschland kommt. „Ich muss meine Ergebnisse noch zusammenschreiben, um sie zu veröffentlichen, aber dann ist diese irrige Annahme wohl ad acta gelegt,“ sagt er. „Aber alle Autoren früherer Publikationen haben das seit vielen Jahrzehnten voneinander abgeschrieben – ein häufiges Phänomen in der Wissenschaft.“

Ein anderes Problem, mit dem Thomsen und seine Kollegen oft zu tun haben, ist die Datierung ihrer Sammlerstücke. Wann wurde ein bestimmtes Schachspiel denn nun tatsächlich gefertigt? Unter dem Einfluss der Kunsthistoriker nahm man lange an, viele Spiele seien erst relativ spät entstanden. Bald stellte sich jedoch die Frage, mit welchem Material die Menschen im 15., 16. und 17. Jahrhundert eigentlich gespielt haben. Denn es gab keine Exponate, die man dieser Epoche zuordnete. Aber das machte keinen Sinn und schließlich kam man zu der Einsicht, dass die bisherigen Datierungen so nicht stimmen konnten. Viele von ihnen wurden und werden korrigiert. So etwas provoziert natürlich Widerspruch. „Das ist normal, wenn sich etwas in einem wissenschaftlichen Diskurs klärt“, sagt Thomsen. „Das ist ein diffiziles Gebiet. Da muss man sich auf viele Kriterien stützen und oftmals den Rat von Experten einholen. Aber das tut man ja auch gerne.“

Gerade die Fachgespräche mit kundigen Spezialisten aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Disziplinen schätzt Thomsen. Er kennt viele Kunsthistoriker persönlich und insbesondere mit dem Schachfan Professor Hans Holländer pflegt er einen regen Gedankenaustausch. Holländer, und das ist bei Kunsthistorikern ungewöhnlich, sammelt selbst und hat sich zudem mit dem gesamten Feld der Kunstkammern und dem Sammeln der Kleinskulptur intensiv beschäftigt. Holländer gilt als Koryphäe auf diesem Gebiet und bemüht sich immer darum, seine Ergebnisse mit dem Publikum zu teilen. „Wir wären viel, viel ärmer dran ohne ihn“, sagt Thomsen.

Wenn die Chess Collectors Ausstellungen organisieren, arbeiten sie eng mit Museen und Kuratoren zusammen. Sie möchten die großen Museen der Welt dazu bewegen, ihre schachlichen Schätze, die bislang nur in den Asservatenkammern lagern, einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dieses erklärte Ziel verfolgt die Organisation äußerst erfolgreich. Viel bislang Verborgenes wurde so erst der Forschung zugänglich. „Das Wissen über Schachfiguren, und das Wissen, das in den Museen vorhanden ist, ist heute ein ganz anderes, als es bei der Gründung der Schachsammlergruppe vor zwanzig Jahren der Fall war. Und die von ihnen erstellten Kataloge sind die besten Zeugen dafür,“ sagt Thomsen mit einiger Genugtuung.

Nicht selten trägt Thomsen einen beachtlichen Teil zu Ausstellungen bei. Er sieht seine Sammlung als Teil eines Ganzen und möchte seine Stücke nicht in dunklen Kammern verschwinden lassen. „Ich habe noch nie einer Ausstellung Stücke von mir verweigert. Für mich ist es eine sehr große Befriedigung, mit kompetenten Museen und deren Kuratoren zusammen zu arbeiten, anfallende Aspekte weiter zu diskutieren und neue Gesichtspunkte zu erfahren.“ Aber auch umgekehrt hat seine eigene Meinung einen hohen Stellenwert, und immer wieder wird er selbst um Expertisen gebeten.

Springer in Form eines Steckenpferdes mit Einrad

Springer in Form eines Steckenpferdes mit Einrad, Spanien oder Frankreich,
20. Jh., Silber, Gegenseite vergoldet. H = ca. 11 cm
Foto: Chesscollectors

Neben dem Gespräch mit Sammlern und Experten aus aller Welt und den wissenschaftlichen Aspekten des Sammelns, gibt es natürlich auch den privaten Kunstgenuss. Thomsen ist immer wieder fasziniert, wie unterschiedlich Schachspiele gestaltet werden. Seine kunsthandwerklichen Preziosen sind Kleinplastiken ersten Ranges, die alle Stilrichtungen der Kunstgeschichte widerspiegeln. Ob Renaissance, Historismus oder Art déco – alle Epochen haben sich das Schachspiel als Sujet gewählt. Und in allen denkbaren Werkstoffen. Von Elfenbein-, über Bronze- und Eisenspiele, bis hin zu in Porzellan, Gold und mit Edelsteinen gefertigten Exponaten -Schachspiele waren über Jahrhunderte eine Leistungsschau des Kunstgewerbes. Gerade die Vielfalt der Materialien macht dieses Sammlergebiet so interessant. Besonders attraktiv ist es für Sammler, wenn bei einem Schachspiel alle Figuren unterschiedlich ausgeführt sind. Es zeugt vom hohen Können eines Handwerkers, wenn z.B. die acht Bauern mit unterschiedlichen Gesichtern oder verschiedenen Attributen ausgestattet sind.

Da das Gebiet so umfangreich ist, beschränken sich viele seiner Kollegen auf die Sammlung von Teilgebieten. Einige sammeln nur bestimmte Figuren, andere nur in einer einzigen Kategorie. Ein Freund von ihm hat sich auf die Dokumentation von Staunton-Figuren spezialisiert. Die heutigen Turnierfiguren, die ihren Namen dem damaligen inoffiziellen Weltmeister verdanken, gibt es schon seit 1851. Sie wurden in verschiedenen Materialien hergestellt, manche sind gewichtet, und auch die Charakteristik des Springers ändert sich immer etwas. Diese Spiele haben eine regelrechte Evolutionsgeschichte hinter sich, die in dieser Sammlung umfangreich dargelegt wird.

Schachfiguren Napoleon und Napoleon gegen Friedrich Wilhelm III

Napoleon gegen Friedrich Wilhelm III., Pariser Schule, frühes 18. Jh.,
Elfenbein, fein geschnitzt, alle Figuren unterschiedlich, H = 11 cm
Foto: Chess Collectors International


GESCHICHTE UND GESCHICHTEN

Viel Wert legt Thomsen auf die dargestellten Motive. Manche Figurensätze schöpfen aus literarischen Vorlagen wie dem Rolandslied, andere geben Schlachten wieder oder stellen historische Persönlichkeiten dar. Auf dem Schachbrett treten Napoleon und Friedrich der Große schon mal zur Schlacht gegeneinander an – obwohl sie im richtigen Leben keine Zeitgenossen waren. „Vielleicht wollten die Deutschen eine späte Rache an den Franzosen üben“, vermutet Thomsen, „denn viele dieser Spiele sind in Deutschland hergestellt worden“.

Mit einigen Brettern sind Anekdoten verknüpft, die ein Spiel in einem eigenen Licht erscheinen lassen und ihnen etwas Individuelles verleihen. Als Beispiel erzählt Thomsen von Spielen, die an der französischen Kanalküste in Dieppe hergestellt worden sind. Zahlreiche Schnitzer, meist Seeleute, arbeiteten dort im Winter und stellten sehr feine Schachspiele her. Nun wollte ein Gouverneur der französischen Kolonie Senegal zur Zeit Ludwig XVI. sich selbst auf dem Brett verewigen und gab ein Spiel in Auftrag. Aber welcher Figur sollte er seine Züge leihen? Erst nach einiger Überlegung fand er seinen angemessenen Platz auf dem Feld der Eitelkeiten. Als König kam er nicht in Frage, da er selber einen König hatte. Die Königin war mit Marie Antoniette besetzt. Als Läufer – im Französischen Le Fou, der Narr – wollte er nicht unbedingt dargestellt werden. Und der Springer hatte einen zu kleinen Kopf. Schließlich hat er sich gleich acht mal als Bauer verewigt.

SCHÖNHEIT

Ästhetik spielt für Thomsen bei der Beurteilung eines Schachspiels eine entscheidende Rolle. Ein Spiel ist attraktiv, wenn es einen ausgewogenen, einheitlichen ästhetischen Eindruck macht. Die einzelnen Figuren sind Kleinskulpturen, in deren Ausstrahlung man den Künstler wiederfindet. Thomsen besitzt ein Spiel, das mit den Figuren des Maximilian-Grabmals in Innsbruck ausgestattet ist, und auch als Kleinskulpturen büßen die im Original meterhohen Figuren nichts von ihrem Reiz ein.

Neben der Ästhetik zählt für Thomsen die Originalität bei der Umsetzung historischer Figuren. Einige Arbeiten bestechen durch Detailreichtum oder durch karikaturhafte Elemente. Je authentischer das Spiel, desto mehr ist es wert. Ein Aspekt, der bei Schachspielen von Kriegsgefangenen, die Thomsen als Teilgebiet sammelt, zum Tragen kommt, denn hinter all diesen Arbeiten verbirgt sich ein bewegendes Schicksal.

Authentizität ist natürlich noch in anderer Hinsicht wichtig. Der Sammler will keine Fälschungen. „Glücklicherweise werden nicht viele Schachspiele gefälscht, da der Aufwand, 32 Figuren herzustellen, größer ist als der zu erwartende Verdienst,“ sagt Thomsen.

All diese Aspekte sind für jeden Sammler wichtig, aber jeder gewichtet sie anders. „Mit der Qualität der Schachspiele ist es ein bisschen so, wie mit der Kunst-Definition“, sagt Thomsen. „Kunst ist das, was man dafür hält. Was für den einen Sammler schön und attraktiv ist, kann auf einen anderen völlig grob oder unzulänglich wirken, weil er eine andere Sicht der Dinge hat.“ Thomsen mag handwerklich anspruchsvolle Arbeiten, bei denen schwierige Techniken im Spiel waren.

Auch wenn man über Geschmack bekanntlich nicht streiten soll: der Kunst- und Sammlermarkt gehorcht ganz bestimmten Kriterien. Dort bemisst sich der Wert eines Schachspiels nach seiner Rarität. So bringen einige sehr aufwändig geschnitzte chinesische Elfenbeinspiele relativ wenig Geld, da es so viele davon gibt. Thomsen vermutet, dass heute niemand für einen solchen Preis ein Spiel dieser Qualität schnitzten könnte. Früher litt das Kunsthandwerk nicht unter diesem Zeit- bzw. Gelddruck. Künstler, die an einem Hof angestellt waren, konnten ohne großen Termindruck arbeiten, weil sie von den Fürsten ernährt wurden. Heute dagegen braucht ein Handwerker einen bestimmten Stundenlohn, um überleben zu können. So gesehen sind antike Schachspiele noch immer relativ günstig.

Doch selbst ein so kleiner Markt ist immer wieder Schwankungen unterworfen und wird von aktuellen Ereignissen beeinflusst. Als 1972 der Wettkampf Fischer – Spasski die Medien bewegte, stieg nicht nur das weltweite Interesse am Schach, sondern auch die Preise für Spiele. „Für die Schachsammler in aller Welt war dies eine kleine Katastrophe. Die Angebote wurden seltener und interessante Objekte spürbar knapper“, sagt Thomsen rückblickend.

Maßgeblich für den Preis ist auch die Frage, ob es sich um Kunst handelt oder nicht. Viele Produkte des Kunsthandwerkes zählen nicht dazu. Aber Spiele, die von bekannten Künstlern wie Man Ray oder Marcel Duchamp stammen, werden von Museen oder von privaten Kunstsammlern, die in ganz anderen Preiskategorien agieren als die gewöhnlichen „Schachsammler“, ersteigert. Da muss selbst Thomsen zuweilen passen.

Schachspiel in ener Walnuss

Schachfiguren in eier Nussschale
Foto: Chess Collectors International

RESTAURATION

Die filigranen Kostbarkeiten sind nicht nur sehr schön, sondern auch sehr zerbrechlich und deshalb oft beschädigt. Thomsen restauriert seine Exponate selbst. Für ihn gehört diese Tätigkeit zum Sammeln dazu. Dabei kommen ihm seine außerordentlichen handwerklichen Fertigkeiten zu Gute. Technisch interessiert war er schon immer. Als Praktikum für sein Maschinenbaustudium hat er eine zwei-jährige Schlosserlehre absolviert und alles über Drechseln, Drehen, Fräsen gelernt. Ein gutes Gefühl für das Schnitzen hatte er ohnehin. Thomsen braucht nicht lange, um zu wissen, wie ein Spiel hergestellt worden ist, wie es restauriert werden muss, und welche Werkstoffe dafür in Frage kommen. Aber selber Spiele entwerfen und produzieren wollte er nie. Sein Sammlerinteresse gilt dem antiken Schachspiel – und die kann er eben nicht herstellen.

Wenn Thomsen etwas restauriert, möchte er es so perfekt machen, dass mehr als ein flüchtiger Blick nötig ist, um die nachträgliche Veränderung zu erkennen. Bestimmte Schäden restauriert er aber nicht. Kleinere Dellen sieht er als ‚honorable scares‘, ehrenhafte Wunden der Zeit an. Sie zu beseitigen, glaubt er, schadet dem Objekt. Allerdings darf die Beschädigung den Gesamteindruck des Spiels nicht stören. Eine in der Mitte gebrochene Figur würde er selbstverständlich wieder herstellen oder erneuern. Thomsen orientiert sich dabei an den Richtlinien moderner Restauratoren. Restaurieren heißt nicht unbedingt neu machen, sondern den Charakter der Stücke zu erhalten.

Dabei sieht Thomsen die Restauratoren durchaus kritisch. Er kann nicht nachvollziehen, warum in Museen beschädigte Stellen eines Bernsteinspiels nicht mit dem Originalmaterial, sondern mit Kunststoff ergänzt werden, nur damit spätere Generationen sehen, was restauriert worden ist. Dabei könnte man die Ergänzungen doch mit einem Bericht dokumentieren. Thomsen würde solche Stücke immer mit dem Originalmaterial restaurieren. „Aber es gibt eben verschiedene Auffassungen,“ sagt er lächelnd.

Nach wie vor hat Thomsen großen Spaß daran, seine Exponate zu restaurieren und wiederherzustellen. Gerade ist er dabei, ein kleines Privatkabinett einzurichten, in dem wechselnde Ausstellungen seiner Schachspiele den Sammlerfreunden präsentiert werden sollen. Doch bevor die Spiele in die Vitrine kommen, bringt er sie auf Hochglanz. Bis alle Ausstellungsstücke vor den kritischen Augen seiner Sammlerfreunde bestehen können, hat er noch einiges zu tun.

—————————————–

Zum Thema Schach und Kunsthandwerk s. auch: