WAS MACHT EIGENTLICH …

LUDEK PACHMAN

Während sich Bobby Fischer aufraffte, Weltmeister zu werden, kämpftePachman mit den Mitteln der Politik gegen die Sowjetunion. Hier blickt er zurück auf sein besonderes Verhältnis zu dem Amerikaner und auf Schach in den zeiten des Kalten Krieges.

Von Ludek Pachman

Ludek Pachman
Foto: Harry Schaack

Bobby Fischer traf ich das erste Mal 1959 in Santiago de Chile. Es war am Tag vor dem Turnier, und der Organisator bat mich zu dolmetschen, weil ich Spanisch und Englisch spreche. Bobby, der in Begleitung seiner Mutter angereist war, forderte getrennte Unterbringung. Der Organisator sagte, sie bekämen selbstverständlich beide eigene Zimmer. Bobby erwiderte: Sie haben mich nicht verstanden, ich will, dass meine Mutter mindestens zehn Kilometer entfernt untergebracht wird. Als nächstes wollte er wissen, wie viel Preisgeld es gab. Der Organisator fragte zurück: Haben Sie denn die Einladung nicht gelesen? Da behauptete Bobby, er lese nie Briefe. Das genannte Preisgeld war ihm zu niedrig, und er drohte abzureisen. Er hat dann mehr Startgeld bekommen. Ich habe ihm hinterher gesagt, dass sein Verhalten nicht korrekt war, aber er meinte nur: ‘I have to get more.’

Wir wohnten im gleichen Hotel und haben uns jeden Tag unterhalten und gemeinsam auf die Partien vorbereitet. Das war ungewöhnlich, denn mit anderen hat er nicht analysiert. Alle verdächtigte er, seine Ideen zu stehlen, aber aus irgendeinem Grund nicht mich. Wir hatten fast ein Vater-Sohn-Verhältnis damals. Ich sympathisierte mit ihm, ich wünschte ihm eine gute Zukunft und hoffte, dass er sich als Mensch weiter entwickelte. Aber er blieb der selbe. Er war sehr naiv und hielt immer das für richtig, was ihm nützte.

Fischer war völlig unpolitisch. Mit ihm konnte man nur über Varianten sprechen. Er hasste die Russen, aber mit Politik hatte das nichts zu tun. Das letzte Mal bin ich ihm bei der Schacholympiade 1968 in Lugano begegnet. Es war wenige Wochen nach der sowjetischen Invasion in der Tschechoslowakei. Ich fuhr nach Lugano, um den Ausschluss der Sowjetunion vom Turnier und aus der FIDE zu fordern. Bedenken, in der Schachwelt für politische Ziele zu kämpfen, hatte ich nicht. Gerechtigkeit stand bei mir höher als das Schachspiel. Ich gab eine Pressekonferenz, am Tag darauf kam Fischer vor dem Turniersaal auf mich zu und dankte mir, dass ich auf die Sowjets geschimpft hatte. Ich sagte, ich hätte nicht geschimpft, sondern nur die Wahrheit gesagt. Er aber ermunterte mich: Schimpfen Sie ruhig auf die Sowjets, nur weiter so.

Später aß ich zufällig im gleichen Restaurant wie das sowjetische Team. Ihr Delegationschef bat mich an ihren Tisch und sagte: Hier sind deine Freunde, wirst du deine Anschuldigungen vor ihnen wiederholen? Ich erwiderte: Ich hasse nicht die Menschen der Sowjetunion sondern ihre Regierung. Als einer der Spieler – es war wohl Tal – sagte, Pachmann hat recht, hat mich der Delegationschef weggejagt. Viele Jahre später hat Smyslow mir erzählt, dass in der Runde noch heftig diskutiert wurde.

Meine Meinung zu sagen, war immer mein Prinzip. Ich hielt mich für einen freien Menschen. Die, die schwiegen, konnte ich nicht verstehen. Mit 16 war ich in Gestapohaft. Mit 28 verlor ich meinen Gewerkschaftsposten, weil ich offen meine Meinung gegen den Stalinismus gesagt habe. 1967 habe ich vor dem Schriftstellerkongress in Prag einen Offenen Brief geschrieben, der für Israel Partei ergriff. Es war die Zeit des Sechs-Tage-Kriegs, und die Sowjetunion und der Ostblock standen hinter den Arabern. Der Brief wurde von den Schriftstellern mit Mehrheit angenommen. Zur Strafe wurde ich im September 1967 das erste Mal ins Exil geschickt, nämlich als Schachlehrer nach Puerto Rico. Erst nach meiner Rückkehr im Mai 1968 konnte ich wieder politisch aktiv werden.

Am Jahrestag der Invasion, am 21. August 1969 um ein Uhr früh bin ich verhaftet worden. Im Folterkeller wurde ich fast umgebracht. Heiligabend 1969 riefen die Ärzte von der Krankenstation meine Frau an, dass ich die Nacht vielleicht nicht überleben würde. Etwa einmal im Monat durfte sie mich besuchen. Während dieser Besuche erzählte sie mir auch von Fischers Siegen. Seine Partien in Palma de Mallorca, gegen Taimanow und Petrosjan habe ich erst viel später zu sehen bekommen. Aber als er gegen Larsen spielte, war ich nicht in der Zelle sondern wieder auf der Krankenstation. Dort bekam ich Zeitungsberichte zu lesen und konnte Fischers Siege auf meinem kleinen Schachset, das ich in die Haft geschmuggelt hatte, analysieren. Einige Kommentare habe ich meiner Frau geben können, damit sie sie veröffentlichen ließ.

Fischers Sieg gegen Spasski empfand ich als Genugtuung. Ich war für den Amerikaner, weil ich gegen die Sowjets war. Im Mai 1972 bin ich vorübergehend zur Erholung aus dem Gefängnis entlassen worden. Das Match in Reykjavik konnte ich von zuhause verfolgen. Der Prager Korrespondent der Deutschen Presseagentur telefonierte mir die Züge durch, und ich gab ihm dann, wieder telefonisch, meine Kommentare. Das Honorar von dpa konnte ich später in Deutschland gut gebrauchen. Ich wusste, dass ich ausreisen würde, denn wenn ich wieder in Haft käme, hätte ich das kaum überlebt.

Im Sommer 1972 habe ich alles riskiert, um die Tschechoslowakei zu verlassen. Das Politbüro entschied nach langem Hin und Her mit fünf zu vier Stimmen, dass ich ausreisen durfte. Zweimal waren meine Frau und ich im Auto auf dem Weg zur Grenze und wurden wieder zum Umkehren gezwungen. Beim dritten Versuch sind wir zu einem hundert Kilometer südlich liegenden Grenzübergang umgeleitet worden. Wo ich zunächst nach Deutschland fahren wollte, warteten Journalisten, die der Prager dpa-Korrepondent informiert hatte, auf mich. Kaum war ich über der Grenze, rief ich dpa in München an. Die Agentur informierte die Journalisten, und ich traf sie um drei Uhr früh zu einer Pressekonferenz.

Als ich bei der Buchmesse 1976 sagte, dass das kommunistische System spätestens Ende der Achtzigerjahre zu Fall kommt, wurde ich von der linken Presse für verrückt erklärt. Leider hat mir auch der Deutsche Schachbund nicht geglaubt. Sonst hätte er mich unterstützt, statt falsche Rücksichtnahme auf den Osten zu üben. Vor meiner Verhaftung zählte ich zu den besten fünfzehn Spielern der Welt. Ende 1972 war ich im freien Deutschland, konnte aber weder Meisterschaften noch die WM-Qualifikation spielen. Meine Karriere war quasi beendet. Aber ich nehme es den Funktionären nicht übel, sie haben die Situation einfach falsch bewertet.

Im Nachhinein war es vielleicht besser so, denn ich habe mich damals in der Presse und in der Politik etabliert. Mehrere Verlage rissen sich darum, meine Memoiren und weitere Bücher von mir zu veröffentlichen. Ich wurde auch Vorsitzender der CSU-nahen Konservativen Aktion und ging bei Franz Josef Strauss ein und aus, bis er Anfang der Achtziger einen Milliardenkredit an die DDR einfädelte. Ohne Strauss namentlich zu nennen, habe ich den Kredit kritisiert, weil er den Zusammenbruch des Kommunismus hinaus schob. Darauf hat er mir die Freundschaft aufgekündigt.

Danach war ich einige Jahre Schachlehrer an der Internatsschule in Altensteig. Als Ende 1989 der Kommunismus zusammen brach, baten mich Helmut Kohl und Richard von Weizsäcker, nach Prag zu gehen, um etwas für die deutsch-tschechischen Beziehungen zu tun. Seitdem pendle ich zwischen beiden Ländern. Meine Frau und ich haben eine Wohnung in Prag gekauft. Als wir im Frühjahr 1998 hinkamen, war eine Wand aufgebrochen. Auf den ersten Blick war nichts gestohlen, bei näherem Suchen fehlten meine Briefwechsel mit deutschen Politikern. Ein hoher Polizist steckte mir, dass eine andere Prager Wohnung auf genau die gleiche Art aufgebrochen worden und der Besitzer auf der Stelle erschossen worden sei. Daraufhin haben wir die Wohnung verkauft. Wie sagt meine Frau so oft? Wir haben ein buntes Leben.

Aufgezeichnet von Stefan Löffler