FESSELND, FASZINIEREND, TRAGISCH

Von Johannes Fischer

Frank Bradys Fischer-Biographie Endspiel

Frank Brady,
Endgame:
Bobby Fischer’s Remarkable Rise and Fall –
from America’s Brightest Prodigy
to the Edge of Madness,
Crown Publishers, New York 2011,
404 S., gebunden,
25,95 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Im Schach war Bobby Fischer großartig, ein glückliches Leben hatte er nicht. Wie widersprüchlich und getrieben dieses Leben war, zeigt jetzt Frank Bradys Endgame, die erste Biographie über Fischer, die nicht nur seinen Aufstieg zum Weltmeister, sondern auch Fischers Leben nach 1972 behandelt. Brady, Professor an der New Yorker St. John’s University, Präsident des Marshall Chess Clubs und Mitbegründer der amerikanischen Schachzeitschrift Chess Life, ist ein renommierter Autor und Biograph und beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Phänomen Fischer. 1965 veröffentlichte er mit Profile of a Prodigy eine erste Biographie Bobbys, deren überarbeitete und erweiterte Fassung 1973 erschien und zum Bestseller wurde.

Auch in Endgame schildert Brady noch einmal Fischers Kindheit und Jugend und seinen Aufstieg zum Weltmeister. Dabei betont Brady vor allem die Armut, in der Fischer aufwuchs, und korrigiert das verbreitete Bild von Regina Fischer als einer Mutter, die kein Verständnis für das Talent ihres Sohnes hatte. Brady weist nachdrücklich darauf hin, wie engagiert sich Regina Fischer um ihre Kinder gekümmert hat und wie eng Bobby seiner Mutter trotz aller Konflikte sein Leben lang verbunden war.

Der zweite Teil von Endgame macht da weiter, wo Profile of a Prodigy aufhört: bei der Zeit nach Fischers Gewinn der Weltmeisterschaft 1972 in Reykjavik, die Zeit also, in der das Widersprüchliche und Rätselhafte in der Person Fischer immer mehr zu Tage tritt. Er gilt vielen als bester Spieler aller Zeiten, aber spielt nicht mehr. Kaum ein Schachspieler war so auf seine Privatsphäre bedacht wie Fischer und doch hat keiner die Öffentlichkeit so beschäftigt und für so viele Schlagzeilen gesorgt wie er. Fischer hätte durch Werbung, Schaukämpfe oder durch ein WM-Match gegen Karpow 1975 Millionen verdienen können – stattdessen lebte er zurückgezogen in einer kleinen Wohnung in Pasadena, später dann in einem heruntergekommenen Stadtteil in Los Angeles. Als er seine Miete nicht mehr bezahlen kann, bittet er seine Mutter um Hilfe, die ihre Sozialhilfe opfert, um ihn zu unterstützen. Galt Fischer früher als ungebildet, entwickelt er sich nach 1972 zu einem fanatischen Leser, der zahllose historische Bücher und Romane verschlingt, aber auch philo­sophische und religiöse Werke liest und sich mit Bhagwan und Nietzsche beschäftigt. Doch die weit gespannte Lektüre dient ihm vor allem zur Bestätigung seines zunehmend para­noiden, antisemitischen Weltbildes. Fischer ist immer auf der Flucht, er wittert überall Verschwörung und Verrat und legt sich aus Angst vor möglichen Messerattacken eine extra dicke Jacke zu. Dabei lässt seine Unfähigkeit, sein egozentrisches Weltbild aufzugeben, Fischers Phantasien immer wieder Wirklichkeit werden. So macht der bizarre Wettkampf gegen Spassky 1992 Fischer zum Millionär und löst seine finanziellen Probleme, aber da er in einer öffentlichen Pressekonferenz auf ein offizielles Fax der US-Behörden spuckt, führt das Match auch zu Strafverfolgung und zu einem Bruch mit seinem Heimatland. Ernsthaft verfolgt wird Fischer von den US-Behörden allerdings erst nach seinen Hass­tiraden in diversen Radio­sendern, in denen er die Terrorangriffe des 11. Septembers 2001 begrüßt – nach dem Motto: die USA sind gegen mich, also verdienen sie es nicht besser. 2004 wird Fischer in Japan ver­haftet und entgeht einer Auslieferung in die USA und einem längeren Gefängnisaufenthalt nur, weil Island ihn einbürgert. In Island stirbt er am 17. Januar 2008 an den Folgen einer lang andauernden, schweren und schmerzhaften Krankheit, die er aus Angst vor Ärzten und Misstrauen gegen die Medizin nie behandeln lassen wollte.

Brady schildert all diese widersprüchlichen Facetten Fischers anschaulich, eindringlich und spannend. Er schreibt mit Sympathie für Fischer, ohne dessen dunkle Seiten zu beschönigen. Die Antwort auf die Frage, warum Fischer sein außergewöhnliches Talent nicht anders genutzt und sich sein Leben nicht glücklicher und einfacher gemacht hat, weiß Brady allerdings auch nicht. Seine Biographie zeigt jedoch, wie faszinierend und tragisch Fischers Leben war und warum die Geschichte dieses Schachgenies immer noch fesselt, anrührt und verwundert.