WO ARBEIT ZÄHLT:

DIE BÜCHER MARK DWORETSKIS

Suae quisque fortunae faber est.
(Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied.)

Von Johannes Fischer

(Der Artikel ist folgend auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 3/09.)

Mark Dworetski
Mark Dworetski (Foto: Ernst Bossert )

Dworetskis Bücher mögen oder nicht, das ist eine Frage der Haltung. Vielen gilt der 1947 in Moskau geborene Russe als der beste Trainer der Welt. Zu seinen Schülern zählen Arthur Jussupow, Sergei Dolmatov, Nana Alexandra, Viktor Bologan, Alexander Tschernin, Alexei Drejew, Wadim Swjagintsew oder Waleri Tschechow. Dazu kommen Spitzenspieler wie Kasparow, Anand, Topalow, Barejew, Swidler, Lautier und Van Wely, mit denen Dworetski gelegentlich gearbeitet hat. Legendär ist Dworetskis Karteikartensammlung, Tausende von Stellungen aus allen Bereichen der Schachpartie, die Dworetski im Laufe seines Spieler- und Trainerlebens gesammelt hat und unablässig erweitert und verfeinert. Dieser Zettelkasten bildet das Rückgrat seiner Trainingsarbeit und liefert Stoff für zahlreiche Bücher. Der Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek verzeichnet achtzehn Einträge, die meisten Titel sind auch in englischer Sprache zugänglich. Dworetskis Zielgruppe ist erlesen: „Die Materialien, welche ich in meiner gesamten Laufbahn als Trainer gesammelt und zum Studium vorbereitet und später in Büchern verwendet habe, zielen auf jugendliche Talente, die bereits eine gewisse Meisterschaft erlangt haben oder auf junge und ambitionierte Großmeister.“ (Die Universität der Schachanalyse, S. 9)

Das dürfte im deutschsprachigen Raum eine überschaubare Gruppe sein, die man mit Hilfe der Elo-Liste schnell namentlich aufzählen könnte. Wären dies die einzigen Kunden, dann würden Dworetskis Bücher gar nicht erst gedruckt werden. Aber tatsächlich ist der Käuferkreis viel größer. Denn nur wenige Schachbücher erreichen ein so hohes Niveau und widmen sich dem Spiel mit ähnlich ernster Leidenschaft. Und wie Dworetski in der Einleitung zu seinem neuesten Buch Die Universität der Schachanalyse sagt: „Ich gehe davon aus, dass auch Amateurspieler etwas Interessantes finden werden. Wie könnte es nicht spannend sein einmal einen Blick in den Dschungel des Weltklasseschachs zu werfen. Wenn schon nicht als Mitglied dann doch wenigstens als Gast, um die Probleme mit eigenen Augen zu sehen, mit denen ‚Profis’ dauernd konfrontiert sind und wie weit von der Perfektion selbst ihr Spiel entfernt ist (sic).“ (Die Universität der Schachanalyse, S. 9)

Schön und gut. Aber macht es Spaß, Dworetskis Bücher zu lesen? Und ist es wichtig, beim Schachtraining Spaß zu haben? Für Dworetski offenbar schon. In einem Interview mit dem israelischen Internationalen Meister und Studienexperten Yochanan Afek erklärte er einmal, ein guter Trainer „sollte Spaß dabei haben, anderen zu helfen, sich zu verbessern und seinen Job nicht einfach nur als Gelderwerb ansehen. Ein guter Trainer verfügt über weite, allgemeine Schachkultur, ausgezeichnete menschliche Beziehungen und ausgeprägtes Unterscheidungsvermögen. Er sollte außerdem einen individuellen Trainingsplan erstellen, anstatt seinen Schülern einfach nur Wissen zu vermitteln.“ Außerdem legt Dworetski Wert auf die Entwicklung menschlicher Qualitäten: „Es ist wichtig, nicht nur einfach einen starken Spieler hervorzubringen, sondern auch einen ehrlichen Menschen mit Werten und Charakter … Ich habe schon Jugendweltmeistern die Zusammenarbeit aufgekündigt, als ich erkannte, dass ihr unmittelbares Umfeld und ihre Familie stärkeren Einfluss hatten und ich so keine Möglichkeit hatte, sie zu besseren Menschen zu machen.“

Wichtig ist auch, was man unter Spaß versteht. Mancher unterzieht sich gerne Anstrengungen, die für sich genommen nicht besonders lustig sind. Tatsächlich scheint das im Wesen des Sports und des Trainings zu liegen. „Per aspera ad astra“ könnte man hier sagen, durch „Rauhes (sprich Mühsal oder Schwierigkeiten) zu den Sternen“. „Ohne Fleiß kein Preis“ formuliert der Volksmund einfacher, wobei selbiger Volksmund auch das Gegenargument parat hat: „Nur was man gern macht, macht man gut.“

Dieser Ansicht ist auch IM Josh Waitzkin, früher ein talentierter amerikanischer Jugendspieler, den sein Vater durch das Buch Searching for Bobby Fischer, das mit Ben Kingsley in der Hauptrolle erfolgreich verfilmt wurde (vgl. KARL 1/09, S.24ff), als Wunderkind bekannt gemacht hat. Der Film machte Waitzkin berühmt, aber die damit verbundene Aufmerksamkeit hat seiner Schachkarriere geschadet. Wie er schreibt, konnte er sich nicht mehr auf das Schach konzentrieren, weil er bei allen Turnieren im Mittelpunkt des Interesses stand. Er verlor die Lust am Spiel und zog sich vom Schach zurück. Erfolge feiert er weiterhin, allerdings nicht im Schach, sondern im Tai Chi. Wie sein 2007 erschienenes Buch The Art of Learning: A Journey into the Pursuit of Excellence verrät, bringt er es im Tai Chi auf 21 US-Titel und „etliche Weltmeistertitel“. In diesem Buch berichtet Waitzkin über seine Erfahrungen im Schach und im Tai Chi und überlegt, wie und warum man Erfolg im Sport, Wettkampf und im Leben hat.

In einem Abschnitt des Buches erinnert sich Waitzkin an seine Zusammenarbeit mit Dworetski: „Ich habe Dworetski beim ersten Weltmeisterschaftskampf Kasparow – Karpow in Moskau kennen gelernt, als ich sieben war und wir haben meine ganzen Teenagerjahre hindurch sporadisch immer mal wieder zusammen trainiert. Wenn er nach Amerika kam, dann verbrachte er manchmal vier oder fünf Tage am Stück im Hause meiner Eltern. In diesen Zeiten schienen alle nicht-schachlichen Angelegenheiten irrelevante Störungen zu sein. Wenn wir nicht trainierten, dann saß er in seinem Zimmer und starrte an seinem Computer auf Schachstellungen. … Wenn er am Schachbrett sitzt, dann wird Dworetski lebendig. Seine dicken Finger bewegen die Figuren irgendwie elegant. Er ist äußerst selbstbewusst, ja, arrogant. Am wohlsten fühlt er sich, wenn er einem begabten Schüler gegenüber sitzt und sofort anfängt, enorm schwierige Schachaufgaben aufzubauen, die der Schüler lösen muss. Sein Repertoire an abstrusem Material scheint grenzenlos zu sein und kommt unablässig Stunde um Stunde in unbarmherzigem Verhör. Dworetski schaut gerne zu, wie talentierte Schachgeister mit seinen Problemen kämpfen. Er sonnt sich in seiner Macht, während die kühne Kreativität junger Champions langsam ausgelaugt wird. Als Schüler hatten diese Sitzungen für mich immer etwas von Orwells Gefängnisszenen in 1984, wo Menschen mit unabhängigem Geist erbarmungslos gebrochen werden, bis nur noch die Hülle einer Person übrig war. … Dworetski … hat ein umfassendes Trainingssystem entwickelt, dem sich, wie er glaubt, alle Schüler unterziehen sollten. Seine Methode … besteht darin, den Schüler recht brutal zu brechen und ihn oder sie dann in das ausgestanzte Muster seines Trainingssystems zu zwängen.
Meiner Meinung nach kann dieses Vorgehen tiefgreifend negative Konsequenzen für aufgeweckte, junge Schüler haben.“ (The Art of Learning, S. 82-83).

(Der Artikel ist auszugsweise wiedergegeben.
Den ganzen Text lesen Sie in KARL 3/09.)