KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

MODEVARIANTE

Von FM Harry Schaack

Bologan, Fighting against the Caro-Kann with the Advance

Victor Bologan,
Fighting against the Caro-Kann
with the Advance Variation,
Fritztrainer Opening,
ChessBase 2014,
DVD, Videospielzeit: 4 Std. 38 min
(in englischer Sprache),
29,90 Euro

(Das Belegexemplar wurde freundlicherweise von der Firma ChessBase zur Verfügung gestellt)

Varianten unterliegen immer einer gewissen Mode. Wegen der spektakulären Erfolge Schirows machte einst die Vorstoßvariante im Caro-Kann mit dem hyperaggressiven 4.Sc3 nebst 5.g4 Furore. Doch bald fand man mit Hilfe starker Engines Gegenmittel für den Nachziehenden. Der kleine Bruder der Sc3-Aufstellung war damals die ruhige Sf3-Variante, die lange Zeit als harmlos galt, bis ihr Potential durch Nigel Short Anfang der 90er Jahre entdeckt und erfolgreich ausgeschöpft wurde. Seither hat dieses Abspiel steten Aufschwung erhalten und mittlerweile längst die Sc3-Variante in ihrer Popularität überholt. Tatsächlich zählt sie im Moment zu den meistdiskutierten Caro-Kann-Varianten in der Weltspitze. Fast jeder Topspieler hat sich schon daran versucht.

Über die Jahre hinweg wurde deutlich, dass die Variante keineswegs ruhig verlaufen muss. Zuweilen werden haarsträubende Verwicklungen heraufbeschwört, die einen Vergleich mit der taktischen Sc3-Variante nicht scheuen müssen. Man darf sich nicht täuschen: Zwar lässt es der Weiße zunächst ruhig angehen, doch rasch verschärft sich der Konflikt im Zentrum und führt teilweise zu größten Komplikationen, in denen neben einem guten taktischen Auge die Kenntnis der zentralen Stellungsmotive unbedingt erforderlich ist.

Der moldawische Weltklassespieler Viktor Bologan hat sich auf seiner neuen DVD, die kürzlich bei ChessBase erschienen ist, der Vorstoßvariante angenommen. Der Autor spielt dieses System schon seit 20 Jahren mit beiden Farben und zählt zu den Experten dieses Abspiels. Schon 2009 hat er auf seiner ebenfalls bei ChessBase erschienen DVD The Caro-Kann diese Variante, die sich seither rasant entwickelt hat, aus Sicht des Schwarzen besprochen. Nun stellt er auf seiner aktuellen DVD Fighting against the Caro-Kann with the Advance Variation ein komplettes Weißrepertoire vor.

Bologan konzentriert sich bei der Präsentation der einzelnen Varianten vor allem auf die zentralen Motive. An 20 Beispielen werden die strategischen Schlüsselmomente der Vorstoßvariante abschließend in einem Quiz noch einmal in Erinnerung gebracht. Im Gegensatz zu einem Buch, dessen Stärke vor allem in der vielfältigen konkreten Variantenbeschreibung liegt, müssen sich Videos auf die Erklärung der Grundpläne und Ideen konzentrieren. Doch sie haben den Vorteil, dass man diese gewöhnlich später besser visualisieren kann. Deshalb ist Bologans Intention, ausführlich die strategischen Gründe für seine weißen Variantenvorschläge zu erläutern, anstatt sich mit verästelten Nebenvarianten zu beschäftigen.

Typisch für die Vorstoßvariante mit Sf3 ist entweder ein weißer Angriff am Damenflügel mit a4-a5 bzw. a3 und b4 oder ein Königsangriff mit g4 nebst f4-f5 – ein Durchbruch, der ggf. sogar unter Bauernopfer gespielt wird, um den weißfeldrigen Läufer des Nachziehenden schlecht zu stellen. Schwarz muss deshalb schnell etwas gegen das Zentrum unternehmen und mit seinen Hebeln c5 und f6 die Zentralbauern befragen. Tendenziell hat Weiß immer einen gewissen Raumvorteil, den Schwarz durch die Auflösung des Zentrums neutralisieren will. Dabei kommt der richtigen Figurenstellung entscheidende Bedeutung zu, je nachdem wie sich Weiß aufbaut. Mal muss der schwarzfeldrige Läufer mit h6 in Sicherheit gebracht werden, mal der Springer über das Grundreihenfeld c8 an den Damenflügel umgruppiert werden. Zudem sind die schwarzen Leichtfiguren am Königsflügel nicht einfach zu koordinieren. Steht der schwarze Springer auf f5, wird er von Weiß mit g4 zum Abtausch auf h4 gezwungen, sobald Schwarz Le7 gespielt hat. Jetzt kann die Dame nicht mehr auf h4 nehmen und der Läufer steht dort schlecht.

Schwarz kann zwischen zwei Hauptvarianten wählen: Entweder 5…c5 oder 5…Se7 nebst 6…c5. Die Nebenvarianten sind schlechter für Schwarz.

Nach 5…c5 ist die beste Aufstellung für Weiß 6.Le3. Doch Bologan zeigt, dass auch die alte Variante mit 6.0-0 gut spielbar ist und einen kleinen Eröffnungsvorteil für den Anziehenden behauptet.

In der Hauptvariante mit 6.Le3 muss sich Schwarz beeilen. Stellt er sich mit c5, Sd7, Se7 auf, spielt Weiß Sa3 nebst c4, versucht dann mit dem Springer auf c4 zu schlagen und kämpft um das Feld d6.

Spielt Schwarz 6…Db6 mit sofortigem Angriff auf die Damenflügelbauern, muss Weiß Material geben.

Er opfert die Bauern b2 und c2 für Entwicklung und langanhaltende Initiative. Die Db6-Variante ist ein wichtiges und scharfes Abspiel, das schon einige Male auf Toplevel diskutiert wurde. Auch wenn die Stellung vielleicht mit Hilfe eines Schachprogramms für Schwarz zu halten ist, rät Bologan davon ab, weil die praktischen Probleme am Brett immens sind und man für den materiellen Vorteil lange Zeit mit dem Rücken zur Wand steht.

Zu den sichersten Aufbauten des Nachziehenden zählt cxd4 nebst sofortigem Se7 und späterem Le4. Weiß versucht, mit c4 auf das Zentrum Druck auszuüben und seinen Entwicklungsvorsprung geltend zu machen. Bologan gibt mit 8.Sbd2 – ein Zug, den der peruanische Großmeister Granda Zuniga in die Praxis eingeführt hat – eine Alternative zu den variantenlastigen Abspielen mit 8.c4, was lange Zeit die Hauptfortsetzung war.

Laut Bologan behauptet Weiß einen stabilen, langanhaltenden kleinen Vorteil im Endspiel.

Die zweite und vermutlich für Schwarz empfehlenswertere Hauptvariante entsteht nach 5…Se7 (anstatt 5…c5), wonach Weiß mit 6.0-0 (anstatt mit 6.Le3 in der c5-Variante) fortsetzt.

Doch Schwarz kommt auch nach Se7 nicht ohne sofortiges c5 aus, weil langsames Spiel dem Weißen entgegenkommt. So erhält der Anziehende nach frühem h6 leichten Vorteil, weil die schwarzen Figuren an Platzmangel leiden und schnell zurückgetrieben werden, indem Weiß seine Bauern am Königsflügel in Bewegung setzt. Spielt Schwarz mit 6…Se7-c8, baut Weiß mit b3 und c4 seinen Raumvorteil am Damenflügel aus. Spielt der Nachziehende direkt 6…Lg6, findet der Springer später auf f5 wegen der ständigen Drohung g4 kein sicheres Plätzchen.

Der beste Aufbau für Schwarz besteht in 5…Se7 mit direktem 6…c5.

Wenn Weiß Theorie vermeiden will, gibt Bologan mit 7.c3 als auch mit 7.dxc5 gleich zwei gut spielbare Alternativen zur Hauptvariante c4. Nach 7. c3 ändern sich die Motive etwas, denn oft wird die c-Linie wichtig. Beim Abspiel mit 7.dxc5 ist später Dc1 ein wichtiger Schlüsselzug, der die d-Linie für den Turm räumt, Druck auf der c-Linie ausübt und der Dame das Feld e3 gibt.

In der Hauptvariante mit 7.c4 – ein Zug, den Bologan selbst 1992 als Neuerung in die Praxis einführte – erhält Weiß nach sofortigem 7…dxc4 mit Sa3 „definitiv“ Vorteil, wie der Autor meint. Die sicherste schwarze Aufstellung besteht in Sbc6, die Bologan in Abspiel 14 bespricht. Schwarz erhält theoretischen Ausgleich, aber Weiß hat praktische Chancen, um Vorteil zu kämpfen. Besonders nach 8.dxc5 konnte Grischuk in seiner Partie gegen Lupulescu Ende letzten Jahres einige neue Ideen zeigen. Schwarz muss sehr sorgsam spielen, um Ausgleich zu erhalten.

Laut Bologan ist der beste schwarze Versuch dxc4, wonach ein leicht besseres Endspiel für Weiß entsteht, das aber wohl haltbar ist.

Verzichtet Schwarz auf c5 und verliert mit sofortigem Sd7 und h6 oder Lg6 Zeit, kann Weiß mit a4-a5, c3 und b4 vorteilhaften Raumgewinn am Damenflügel erzielen. Deshalb ist es oft gut für Schwarz, dies mit a5 zu unterbinden.

Wenn Weiß ohne c5, so sollte er nach Se7 auf jeden Fall mit h6 spielen, um sich den weißfeldrigen Läufer nicht abtauschen zu lassen. Bologan empfiehlt den flexiblen Wartezug Ld2, wenn sich Schwarz mit Dc7 oder Tc8 aufstellt.

Bei der Umgruppierung des Springers nach c8 muss Schwarz darauf achten, dass ihm die guten Felder nicht ausgehen. Weiß will den Damenflügel mit a4-a5 und b4 lahm legen und am Königsflügel mit Se1, f4, g4 seinen Standardangriff fahren. Spielt Schwarz ambitionierter mit g5, reagiert Weiß ebenfalls mit dem Manöver Se1 und attackiert später mit f4.

Im letzten Kapitel beschäftigt sich der Autor noch mit 3…c5, das ein eigenständiges Abspiel darstellt. Bologans empfiehlt die ruhige Variante mit 4.Sf3 und auf 4…cxd4 folgt 5.Dxd4. Die Hauptvariante ist aber 4…Lg4. In den meisten Abspielen behauptet Weiß mit dem Läuferpaar einen kleinen, aber stabilen Vorteil.

FAZIT

In 22 Videos gelingt es dem Autor gut, den Fokus auf die entscheidenden Momente der Stellungen zu legen. Und man merkt, dass Bologan einer der großen Experten in dieser Variante ist. Die zwanzig abschließenden Quiz-Fragen sind geeignet, sich die Grundstellungen und zentralen Motive noch einmal vor Augen zu führen.

Auch wenn hier ein Weißrepertoire vorgestellt wird, ist etwas zu bemängeln, dass der Eindruck entsteht, Schwarz stehe in der Vorstoßvariante stets mit dem Rücken zur Wand. Und auch in der mitgelieferten Datenbank mit 50 von Bologan ausgewählten Modelpartien (von denen allerdings nur zehn kommentiert sind), findet sich kein einziger Schwarzsieg. Tatsächlich wird das Abspiel aber deshalb so oft in der Weltklasse – und von Bologan selbst – gespielt, weil es eben auch für Schwarz Chancen bietet. Deshalb hätte man sich gewünscht, dass der Autor ein wenig mehr das Verteidigungspotential des Schwarzen betont. Aber das kommt vielleicht bei seiner nächsten DVD …