KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

ZIELSETZUNG NICHT ERREICHT

von FM Uwe Kersten

Tactics in the Chess Opening 4 Cover

Friso Nijboer and Geert van der Stricht,
Tactics in the Chess Opening 4,
Queen´s Gambits, Trompowsky & Torre,
New in Chess 2006,
 237 Seiten, paperback,
19,95 €

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Vorliegendes Werk der beiden holländischen Autoren beinhaltet über 230 Partien zur großen Welt des Damengambits und Damenbauernspiels. Jede Partie ist mehr oder weniger ausführlich kommentiert. Der Titel des Buches legt nahe, dass der Schwerpunkt im taktischen Bereich liegt und genau hier liegt mein Kritikpunkt. Als Trainer/Leser hätte ich hier eine systematische Darstellung, d.h. Sortierung nach Motiven, Opferfeldern oder anderen Kriterien erwartet. Stattdessen folgt eine Aneinanderreihung von Partien, in denen sich irgendwann einmal eine taktische Operation ereignet. Natürlich ist das Nachspielen solcher Partien durchaus lehrreich, nur fehlt allzu oft der direkte Bezug zur Eröffnung, d.h. ein wirklicher Zusammenhang zu typischen Bauerformationen oder Figurenanordnungen, die den taktischen Einschlag ermöglichen. Aber nur wenn man das Typische herausarbeitet, kann man hoffen, in der Praxis einen ähnlich gelagerten Fall zu erkennen und das Gelernte erfolgreich anzuwenden. Ein besonders „abschreckendes“ Beispiel möchte ich nachfolgend demonstrieren:  

GEORGIEW, V (2565)
STAWREW, N (2310)

BUL-ch Dupnica (13), 1998 [D36]

1.c4 e6 2.Sc3 d5 3.cxd5 exd5 4.d4 Sf6 5.Lg5 c6 6.e3 Le7 7.Ld3 0–0 8.Dc2 Sbd7 9.Sf3 Te8 10.0–0 Sf8 11.Tab1 By far the most common move. White prepares the „minority attack“ with b4-b5 in order to eventually saddle Black with a weakness on c6. 11…a5! The standard response to slow down White´s plan. 12.a3 g6 13.b4 axb4 14.axb4 Se6 15.Lh4 Sg7 A very well known manoeuvre in the Exchange Variation. Black swaps his bad bisoph with 16…Lf5. 16.b5 Lf5 17.bxc6 bxc6 18.Se5 Tc8 19.Tb7 Lxd3 20.Dxd3 Tc7 21.Txc7 Dxc7 22.Tc1 White’s opening strategy has borne fruit. Black is left with a weakness on c6 and has not developed any counterplay on the kingside. As a result, the rest of the game is one-way traffic.

 

22…Db7 23.Tb1 Da8 24.h3 Se4? Based on miscalculation. Correct was 24…Sf5 25.Lg5, and White has a large advantage, but Black is still fighting. 25.Lxe7 Txe7 Equally hopeless is 25…Sxc3 26.Dxc3 Txe7 27.Dxc6, etc. 26.Sxe4! dxe4 27.Dxe4 27…f6 28.Dxc6 is probably what Black had overlooked on his 24th move. 27…Tc7 28.Tc1 Se6 29.Txc6 Sd8 30.Txg6+ Black resigns, since he will lose his queen. 1-0

Betrachtet man die Kommentare obiger Partie isoliert, ist nichts einzuwenden. Allerdings stellen sich dem kritischen Beobachter folgende Fragen: Warum steht Schwarz im 22.Zug deutlich schlechter, obwohl er laut Kommentierung keinen Fehler gemacht hat, sondern sogar durch ein bekanntes (gutes?) Manöver geglänzt hat und sich mit 11…a5! sogar ein Rufzeichen verdient hat? Wo ist das für die Eröffnung typische taktische Element? Es ist doch nicht etwa der eher zufällige taktische Einsteller im 24.Zug, der die Aufnahme der Partie ins Buch rechtfertigt, oder? Unlogische Kommentierung, wenig Bezug zum Thema – sicher kein Meisterstück!

FAZIT

Der Schwerpunkt des Buches – Taktik in der Eröffnung – wird nicht besonders überzeugend umgesetzt. Es bleibt eine kommentierte Partiesammlung zum vorgegebenen Eröffnungsbereich, die man ergänzend zu einem Theoriewerk einsetzen kann, aber man verpasst auch keine Pflichtlektüre, wenn man es lässt.