KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

GRUNDLEGENDES VERSTÄNDNIS TYPISCHER ENGLISCH-STRUKTUREN

von IM Erik Zude

Watson Materng Chess Openings Vol 3 Cover

John Watson
Mastering the Chess Openings, Volume 3
Understanding the English Opening and related structures
Gambit Verlag, 1. Auflage 2008, Englisch,
Paperback, 352 Seiten,
€ 21,90

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Über die Englische Eröffnung, 1.c4, sind schon viele Bücher geschrieben worden. Bisher hat es jedoch keines geschafft, einen gelungenen Überblick mit guten Erklärungen der wichtigsten Strukturen und Pläne zu vereinen. Stattdessen gibt es auf dem Markt zahlreiche Repertoire-Bücher und allgemeine Leitfäden, die zwar das eine oder andere System mehr oder weniger gut erklären, aber keine Vollständigkeit anstreben können.

Der bekannte Schach-Autor IM John Watson hat sich nun die Aufgabe gestellt, das Spektrum der verschiedenen Entwicklungssysteme abzudecken. Seine Erläuterungen sollen dabei sowohl für weniger erfahrene wie auch Meisterspieler aufschlussreich sein. Ein ehrgeiziges Ziel!

Das Buch erscheint als dritter Teil seiner Serie Mastering the Chess Openings. Im ersten Teil wurden, nach einer Abhandlung über allgemeine Eröffnungsprinzipien, die Abspiele nach 1.e4 erklärt, der zweite behandelt 1.d4. Im vierten sollen dann die Reti-Eröffnung und andere Flankensysteme zu Wort kommen.

Die erste Hälfte des vorliegenden Bandes befasst sich mit „Sizilianisch im Anzug“, also Stellungsbildern, die nach 1.c4 e5 entstehen. Watson weist hier wie im übrigen Buch stets auf Zugumstellungen hin und erklärt, aus welchen Gründen bestimmte Zugfolgen gewählt werden.

Sehr wertvoll sind seine Erläuterungen, warum Schwarz überhaupt einen offenen Sizilianer mit vertauschten Farben spielen darf, also z.B. 1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 Sc6 4.g3 d5 5.cxd5 Sxd5. Der Nachziehende spielt quasi gegen die „Drachenvariante im Anzug“, ein System, das schon im Sizilianer für Weiß recht gefährlich ist, also im Nachzuge noch riskanter erscheint. Warum kann sich Schwarz das leisten? Zur Beantwortung dieser nicht ganz einfachen Frage macht Watson sehr ausführlich und an zahlreichen Beispielen die Bedeutung des Mehrtempos klar, und auch den Vorteil, den Schwarz daraus zieht, dass er (Dank des weißen „Extra“-Zuges) ein wenig mehr Information über den angestrebten Aufbau des Gegners hat. Diese Information kann Schwarz zur optimalen Auswahl des eigenen Aufbaus nutzen. Weiterhin spielt es natürlich eine Rolle, wie ambitioniert sich der Nachziehende aufstellt. Was im offenen Sizilianer für Weiß verworfen wird, weil es keine Aussichten auf Vorteil bietet, kann in „Sizilianisch im Anzug“ für Schwarz im Ausgleichsinne völlig in Ordnung sein. Diese Aspekte des Spiels mit vertauschten Farben sind auch abseits der Englischen Eröffnung interessant. Watson gelingt hier eine sehr gute Darstellung. Man kann gespannt sein, wie er das Thema im vierten Band anhand der Reti-Eröffnung vertieft.

Bei der Präsentation der vielen verschiedenen Systeme geht Watson jeweils auf die grundlegenden Zentrumsstrukturen ein, ohne sich im Variantengestrüpp zu verirren. Er stellt häufig Vergleiche zwischen dem betrachteten Abspiel und einer analogen Aufstellung mit vertauschten Farben an. Wichtige typische Bauernstrukturen kommen zur Sprache, z.B. der „Maroczy-Wall“ oder das (englische) „Botwinnik-System“ (nicht zu verwechseln mit der halb-slawischen „Botwinnik-Variante“). Für diese typische Formation, die in unzähligen verschiedenen Zugfolgen in der Englischen Eröffnung aber auch im geschlossenen Sizilianer auftaucht, zeigt Watson an einigen Partiebeispielen die beiderseitigen Strategien auf. Diese Vorgehensweise ist bedeutend erfolgversprechender als die häufig in Eröffnungsbüchern anzutreffende Orientierung an Varianten und Zugfolgen. Der Leser nimmt hier weit mehr mit als Eröffnungswissen, es geht um das Verständnis einer typischen Struktur.

Natürlich kostet all dieses viel Platz und erfordert Abstriche an anderer Stelle. Zwar ist Watsons Behandlung des symmetrischen Englisch nach 1. c4 c5 noch erfreulich ausführlich. Wenn es dann zu den Systemen nach 1.c4 Sf6 geht, muss er sich auf das wesentliche beschränken. Das ist aber gut zu verkraften, da hier einiges an Spezialliteratur existiert, z.B. über den „Igel“. Der Leser bekommt jedoch einen guten Überblick über das Variantenspektrum der Englischen Eröffnung.

Angesichts der Fülle der abgedeckten Themen und typischen Bauernstrukturen können durchaus Schachspieler vieler Spielstärkegrade ihr Verständnis der Englischen Eröffnung vertiefen. Weniger erfahrene werden gelegentlich vor Herausforderungen gestellt. Deshalb ist es empehlenswert, grundlegende Vorkenntnisse über Sizilianisch mitzubringen.

FAZIT

Ein sehr gelungener Band über Englisch, der eine Lücke in der Eröffnungsliteratur schließt. Sehr empfehlenswert für alle, die ihr Repertoire an typisch englischen Mittelspielstrukturen erweitern möchten.

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Inhalt

006 Symbols

006 Dedication

006 Acknowledgements

007 Bibliography

009 General Introduction

011 1) Introduction to the English Opening

014 2) Reversing the Sicilian: 2nd Moves

029 3) Introduction to 2 Nc3: Black Plays Flexibly

064 4) 2. …Nf6 and g3 Systems

106 5) Four Knights Variation

139 6) Three Knights and Closed English

174 7) Pure Symmetrical Variation

218 8) Main Lines with 2 Nf3 and d4

270 9) Asymmetrical Variations

297 10) The Hedgehog Variation

313 11) Mikenas Attack and Nimzo-English

335 12) King’s Indian Variations

345 Index of Variations

350 Index of Players