KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

ERST DIE ARBEIT, DANN DAS VERGNÜGEN:
ZWEI BÜCHER ZUM COMPUTERSCHACH

Von FM Johannes Fischer

Moderne Schachanalyse Cover

Robin Smith,
Modern Chess Analysis:
Techniques that have revolutionized chess analysis,
London: Gambit, 2004,
176 S., kartoniert,
24,95 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)
Complete Chess Server Guide Cover

Konstantin Sakaev,
How to get the Edge Against the Gruenfeld,
Chess Stars Opening 2004,
kartoniert, 170 Seiten
23,50 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

DIE SUCHE NACH WAHRHEIT

Robin Smith geht den Dingen gerne auf den Grund. Deshalb benutzt er bei der Analyse von Schachpartien einen Computer. Mit Erfolg: Zwei Mal gewann Smith die amerikanische Fernschachmeisterschaft und einmal ein Halbfinale der Fernschachweltmeisterschaft. Wie er dabei das Beste aus seinen Schachprogrammen herausgeholt hat, verrät er jetzt in Moderne Schachanalyse.

Auch da macht Smith keine halben Sachen. Bereits in der Einleitung gibt er Ratschläge, worauf der ernsthafte Schachspieler beim Computerkauf achten sollte: „Not fast video, not a fast modem, nor a fancy sound card, nor even a fast hard drive. Get a fast processor … Those who really want the strongest machine for chess analysis should consider multi-processor machines“ (S.9). Multiprozessoren, so Smith, erlauben es ohne großen Verlust an Rechengeschwindigkeit verschiedene Engines parallel analysieren zu lassen und so die Stärken und Schwächen der einzelnen Programme auszugleichen. Allerdings holt Smith den Rat unterschiedlicher Programme nicht etwa ein, weil er besonders computergläubig ist. Im Gegenteil. Er plädiert für eine Zusammenarbeit von Mensch und Maschine: „Computers are incredibly fast, accurate and stupid; humans are incredibly slow, inaccurate and brilliant; together they are powerful beyond imagination.“

Wie diese Zusammenarbeit optimiert werden kann, erklärt er dann in den einzelnen Kapiteln des Buches. Und egal, ob sich Smith mit der relativen Stärke von Computern und Menschen oder computergestützter Analyse von Eröffnung, Mittelspiel und Endspiel befasst: Stets sind seine Tipps hilfreich und durchdacht – aber sie richten sich vor allem an die Schachenthusiasten, die wie Smith leidenschaftlich nach der schachlichen Wahrheit suchen wollen und dabei weder Zeit noch Mühe scheuen. Wer nur ein paar Tipps möchte, um sein Schachprogramm effektiver zu nutzen, die eigenen Partien auf Fehler durchzusehen oder beim Eröffnungs- oder Endspielstudium einen willigen Sparringspartner zu haben, der ist mit Kongsteds How to Use Computers to Improve Your Chess besser bedient.

BREITBEINIG DURCHS INTERNET

Internetblitzer kennen GM Roland Schmaltz als Hawkeye. Sein Ruf ist legendär: Er war vier Mal Weltmeister im 1-Minutenblitz, dem so genannten Bullet und er war der erste Spieler, der auf dem ICC-Server die magische Grenze von Elo 3000 durchbrach. Sein „handle“ – so der Fachausdruck für das Alias von Spielern, die im Internet blitzen – geht auf eine Figur aus Coopers „Der letzte Mohikaner“ zurück und tatsächlich erinnert Schmaltz‘ Einstellung zum Internetschach an Cowboy-und-Indianer Spiele aus der Kindheit. Mit jungenhaftem Macho-Charme führt er in Geheimnisse des Internetschachs ein, erklärt Vor- und Nachteile diverser Server, bespricht die technischen Voraussetzungen des Internetschachs, philosophiert über Betrug beim Internetblitz, gibt Tipps, wie man erfolgreicher spielt und erzählt Geschichten aus zehn Jahren Serverleben. Außerdem führt er Blitzpartien vor, die unerwartet inhaltsreich und interessant sind:

SCHMALTZ – HAR-ZVI
1 0 Bullet Internet Chess Club, 7.03.2001

1.e4 Sc6 2.Sc3 e5 3.g3 Lc5 4.Lg2 Sf6 5.Sge2 d6 6.h3 Lb6 7.0-0 0-0 8.Kh2 Te8 9.f4 exf4 10.gxf4 Sg4+ 11.Kg3 Sf2 12.Txf2

12…Dh4+ 13.Kxh4 Lxf2+ 14.Sg3 Te6 15.Kg4 Sd4 16.f5 Tg6+ 17.Kf4 Txg3 18.Df1 g5+ 19.fxg6 Se6+ 20.Kf5 Sg7+ 21.Kf6 Txg6+ 22.Ke7 Te6+ 23.Kd8 Lb6 24.Sd5 Te8#

Schmaltz geht es vor allem um den Spaß am Internetschach und mancher kommt durch Hawkeyes ansteckenden Enthusiasmus vielleicht auf den Geschmack am Internetblitz, während routiniertere PC-Blitzer den einen oder anderen Ratschlag zum besseren Umgang mit der Maus erhalten.

In die gute Laune des Buches passt das hässliche Phänomen des Betrugs beim Internetblitz allerdings schlecht hinein. Aber dies stellt zur Zeit das größte Problem der Serverbetreiber dar, denn immer wieder versuchen Spieler mit der verbotenen Unterstützung durch Computer erfolgreich zu sein. Großmeister schummeln hier genauso gern wie Amateure. Dass solches Verhalten potenzielle Sponsoren von Internetblitzturnieren abschrecken könnte und sich die Schachprofis damit letzten Endes selber schaden, scheint die Betrugsgroßmeister nicht zu interessieren. Sie hoffen auf den schnellen Euro und wie jeder Betrüger spekulieren sie darauf, nicht entdeckt zu werden. Um so mehr verblüffen Hawkeyes selbstbewusste und naive Aussagen zu diesem Thema. Nachdem er festgestellt hat, dass man beim Internetschach nur dann erfolgreich schummeln kann, wenn man zwei Computer benutzt, nämlich einen, auf dem man spielt und einen, auf dem Fritz oder ein anderes Programm analysiert, erklärt er: „This is really hard to detect if done in a smart way. The only real method of finding these cunning cheaters is when strong players go over the games they’ve played. The only players who can actually ‚legally‘ cheat (if done the smart way) are well known strong grandmasters. Nobody among the huge crowd of administrators can actually tell if grandmasters are cheating or if they are just brilliant. But anyway, why should a grandmaster cheat?“ (S.54-55). Abgesehen davon, dass ChessBase auf ihrem Server schach.de Betrüger mit Hilfe einer ausgeklügelten Software aufspürt, ist Hawkeyes rhetorische Frage leicht zu beantworten: Manche Großmeister erliegen schlicht dem Lockruf des Goldes. Seit Internetblitzturniere mit stattlichen Preisen locken, riskieren sogar gute Blitzer ihren Ruf, indem sie den Computer an der falschen Stelle einschalten. Und auf das Indianerehrenwort, nicht zu schummeln, scheint dabei leider kein Verlass zu sein.

Zum ChessBase Server
Mehr zum Thema Betrug und „kybernetischer Fingerabdruck“ des Schachspielers im Bericht zum ACP-Inaugural Turnier im Internet
Zur Webseite von Roland Hawkeye Schmaltz.
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