DIE SCHACHKULTUR BEWAHREN

Der Sammler und Bibliograph Jurgen Stigter

Von Johannes Fischer

Jurgen Stigter

„Lesen ist gefährlich für einen Büchersammler. Das nimmt einem Zeit fürs Bibliographieren“ sagt Jurgen Stigter mit leiser Ironie. Tatsächlich gehören Sammeln, Lesen und Bibliographieren für ihn zusammen. Zu sammeln begann der heute 50-jährige Holländer mit 17, als ihm ein Klassenkamerad die Schachbücher des verstorbenen Großvaters überließ. Seinen ersten Katalog erstellte Stigter 1980, „um zu wissen, was ich habe“. Aber eigentlich ist seine Leidenschaft fürs Bibliographieren altruistisch. Jurgen Stigter möchte damit Schachkultur bewahren und festhalten, was über das uralte Spiel geschrieben wurde.

Deshalb, und da er sich in der Sammlerszene, auf dem Gebiet der Informatik und der künstlichen Intelligenz auskennt, begann Stigter vor Kurzem zusammen mit Gleichgesinnten ein einzigartiges Projekt: die bibliographische Erfassung aller Schachbücher der Welt. Dies zumindest ist eines der erklärten Ziele der Ken Whyld-Association (www.kwabc.com), bei der Jurgen Stigter eine tragende Rolle spielt.

Jurgen Stigter

Die Idee ist einfach: Die Schachbuchsammler aus aller Welt arbeiten über das Internet zusammen und erstellen nach festen Regeln eine umfassende Bibliographie ihrer Sammlungen in einer gemeinsamen Datenbank. Den Grundstock dieser Bibliographie bilden dabei die Kataloge großer Sammlungen wie die der John White Collection in Cleveland oder die der van der Linde/Niemeijer-Bibliothek in Den Haag oder die der Kieler Bibliothek. Wenn eine „kritische Masse“ an Informationen erreicht ist, ergänzen oder korrigieren die Mitglieder die vorhandenen Angaben. Sie verweisen auf Bücher in ihrer Sammlung oder fügen Besprechungen und Inhaltsangaben der jeweiligen Werke hinzu. Dadurch wird die Datenbank größer und besser und dient Experten und Sammlern aus aller Welt zum Austausch von Informationen und Büchern.

Eine kühne Idee und der Beginn eines langfristigen Projekts, das mit viel Enthusiasmus verfolgt wird. Kurz nach ihrer Gründung hat die Ken Whyld-Association bereits über hundert Mitglieder, die aus allen Teilen der Welt stammen. Aber Jurgen Stigter versteht genug von Datenbanken und Computern, um zu wissen, welche Probleme gleich am Anfang lauern. Denn bevor die „eigentliche“ Arbeit des Bibliographierens beginnen kann, müssen erst die Inhalte bereits vorhandener Datenbanken „integriert“, d.h. angepasst werden. Denn natürlich sind die großen Sammlungen nach unterschiedlichen Systemen katalogisiert, während man für eine umfassende Bibliographie jedoch einheitliche Angaben braucht. Aber Stigter ist optimistisch und setzt darauf, dass man erst einmal klein anfangen muss. Wenn der Anfang gemacht ist, kann das Projekt allmählich wachsen.

All das kostet viel Zeit, und über das Sammeln und Bibliographieren kommt Stigter immer seltener dazu, selber Schach zu spielen. Früher hat er regelmäßig an Mannschaftskämpfen teilgenommen, aber seit die Bedenkzeit immer kürzer wird, macht ihm das immer weniger Spaß. Er liebt das Endspiel und hat keine Lust, die Schlussphase unter Zeitdruck zu spielen. Dazu passt, dass er früher gerne Fernschach gespielt hat und dabei immerhin auf eine Elo-Zahl von 2400 Punkten kam.

Aber als Sammler darf man nicht zu lange zögern. Stigter erzählt, dass der holländische Sammler Meindert Niemeijer nach dem Tod eines anderen Sammlers einmal „aus Pietät“ ein paar Tage wartete, bis er die Witwe aufsuchte, um zu fragen, was mit dem Erbe ihres Mannes geschehen sollte. Doch sie hatte bereits entschieden. Kurz nach dem Tod ihres Gatten bestellte sie die Müllabfuhr und ließ die ganze Sammlung abholen.

Natürlich macht sich Stigter Gedanken darüber, was mit seiner Sammlung passiert, wenn er stirbt. Er möchte sie einer Stiftung übereignen, damit der Bestand von etwa 15.000 bis 20.000 Bücher und Zeitschriften nicht auseinander gerissen wird. Selbstverständlich befinden sich unter diesen Tausenden von Büchern etliche Dubletten, um so mehr, da Stigter gerne ganze Sammlungen aufkauft. Um die dabei erworbenen doppelten Exemplare wieder zu verkaufen, betreibt er nebenher ein geschlossenes Schachantiquariat, ein beliebter Treffpunkt für Sammler in Amsterdam. Aber seine eigene Sammlung hält Stigter zusammen. „Verkaufen kann ich, wenn die Bibliographie vollständig ist“. Und das wird sie natürlich nie sein.