„MASON’S DAY“

Eine kurze Erinnerung an James Mason (1849 – 1904)

Von Michael Ehn und Ernst Strouhal

James Mason

In seinem Todesjahr 1966 notierte Heimito von Doderer, der wusste wovon er sprach: „Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die derzeitige Beschaffenheit unserer Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, soweit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Wer nicht säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und freiwillige Mehr-Leistung.“

Nicht alle sind zu dieser Mehrleistung bereit, James Mason etwa war es nicht. Er stammte aus der Gegend von Kilkenny in Irland, über seine Kindheit und über seinen wahren Namen hat er geschwiegen. Sein Leben scheint erst zu beginnen, als er 1860 per Schiff New Orleans erreicht. Wie Millionen irischer Emigranten floh seine Familie vor Hunger und Verfolgung nach Amerika, mit dem Namen legte sie die Heimat ab. Von New Orleans ging die Reise weiter nach New York, wo Mason zunächst als Bote und dann als Journalist für den New York Herald arbeitete. In den Cafés an der Bowery und der Park Row wurde er mit dem Schach bekannt. Im New York Chess Club schlug er Henry Bird und George Mackenzie in Wettkämpfen und hatte nach dem Verschwinden von Paul Morphy in der Neuen Welt bald keine ernst zu nehmenden Gegner mehr. 1878 übersiedelte er als Schachprofi nach Europa und feierte zunächst glänzende Erfolge: Er schlug James „Black Death“ Blackburne in einem Wettkampf und belegte bei den Turnieren von Wien, London und Hamburg erste oder vordere Ränge.

Masons Originalität und sein Talent standen außer Zweifel, allerdings trat auch seine Exzentrizität zu Tage. In einem Nachruf bemerkte Weltmeister Emanuel Lasker mit gebotener Zurückhaltung über ihn: „Masons Niveau als Spieler war in der Tat sehr hoch, aber er hätte den allerhöchsten Rang erklimmen können, hätte er nicht auch über Eigenschaften verfügt, die den höchsten Erfolg für jeden verhindern.“ Weniger höflich ausgedrückt: Mason war ein schwerer Trinker. Er verfiel während der Turniere regelmäßig in einen Zustand, der lange vor James Joyce als „Mason’s Day“ bekannt wurde. In Hastings 1895 etwa gewann er zunächst Partie auf Partie, doch am Tag der Entscheidung fand man ihn statt am Schachbrett „in fröhlichem Zustand“, wie das Turnierbuch indigniert vermerkt, in seinem Zimmer. Häufig erschien er betrunken am Brett und versagte auch gegen schwächere Gegner völlig. War Mason jedoch nüchtern, was von Jahr zu Jahr freilich seltener der Fall war, konnte er jedem gefährlich werden.

Als Schriftsteller war Mason ein herausragender Stilist und witziger Kommentator. Seine heute leider vergessenen Lehrbücher The Principles of Chess (1894) und The Art of Chess (1895) wurden Bestseller. In Sam Loyd fand er zudem einen kongenialen Partner bei der Herausgabe des American Chess Journal, der ersten amerikanischen Schachzeitschrift. Mason starb am 15. Jänner 1904 in London und ist am kleinen Friedhof bei der Kirche von Thundersley begraben.

Noch einmal Doderer: „Wenn ich mich frage, was ich denn eigentlich mir wünschte: so wäre es – viel Geld, um in einer Folge schwerster (…) Saufereien und dementsprechender Gewalthändel unterzugehen. Statt dessen hab‘ ich das weitaus gewagtere Abenteuer der Tugend gewählt.“ Nun ja, das mit der Tugend stimmte nicht immer bei Doderer, auch bei Mason nicht. Aber im Ganzen stimmte es wieder doch. A drink on him!

MASON – JANOWSKI
Monte Carlo 1902

1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Sc3 d6 7.Lxc6+ Geza Maroczy versuchte anno 1900 in Paris gegen Michail Tschigorin 7.d4 b5 8.dxe5 Sxe5 9.Sxe5 dxe5 10.Dxd8+ Lxd8 11.Lb3 Le6 12.Lg5 mit gleichen Chancen. 7…bxc6 8.d4 exd4 Wassili Smyslow verbesserte das schwarze Spiel gegen Paul Keres, Amsterdam 1956, mit 8…Sd7 9.Le3 0-0 10.dxe5 dxe5 11.Sa4 Ld6 12.c4 De7 13.Tc1 De6. 9.Sxd4 Ld7 10.b3! Der Läufer soll idealerweise auf die lange Diagonale. 10…Db8?! Umständlich, aber Schwarz will lang rochieren. 11.Lb2 Db7 12.Te1 0-0-0 Spiel mit dem Feuer. 13.Dd3 The8 Vielleicht war es klüger, mit 13…Sg4 sofort einen Angriff am Königsflügel vom Zaun zu brechen.

14.b4! Der erste Nadelstich! 14…Lf8 Selbstmord wäre 14…Dxb4? wegen 15.Dxa6+ Db7 16.Dd3 Dxb2? 17.Tab1 Da3 18.Tb3 Da7 19.Teb1 Le6 (sonst 20.Tb8+ nebst Da6+) 20.Sxc6 und gewinnt. 15.Tab1 d5 16.e5 Sg4 17.Sf3 g6 18.h3 Lf5 19.Dd2 Sh6 20.a3 Sg8 21.Sd4 Schwarz scheint sich allmählich zu erholen, aber Weiß hat ein lohnendes Ziel erspäht, den Bc6. 21…Le6 22.Sa4 Sh6 23.Dc3 Sf5 Der Bauer ist verloren: Wenn 23…Kd7 oder 23…Ld7, so 24.Sb3 mit der Idee 25.Sa5 und 25.Sc5. 24.Sxc6 Td7 25.Sd4 Sxd4 26.Dxd4 Lf5 27.Tbc1 Dc6 28.Sc3 h5 29.Se2 Lh6 30.f4 Lf8 Zur Katastrophe würde natürlich 30…Lxc2?? 31.Dd2 führen, doch Schwarz verteidigt sich weiterhin umsichtig. 31.Df2 Le6 32.Sd4 Db6 33.Tb1 Lf5 34.Lc3 Letzte Vorbereitungen für den Vorstoß der Damenflügelbauern. 34…Le4 Gegenspiel – g2 wird anvisiert. 35.a4 c6 36.a5 Der Durchbruch 36.b5! axb5 37.axb5 c5 38.Sc6 Db7 39.Ta1 hätte die schwarze Stellung kräftig durcheinander gewirbelt. 36…Da7 37.Tb2 Tb7 38.Teb1 Kd7 39.Kh1 Teb8 40.De1 Le7 41.Sb3 Tb5 42.Ld4 Db7 43.Lc5 Lxc5 Eine kleine Falle. 44.bxc5 Viel schwächer war 44.Sxc5+? Txc5! 45.bxc5 Dxb2! 46.Txb2 Txb2 mit Angriff auf c2 und g2. 44…Tb4? Vorbei die große Chance! 44…Lxc2! 45.e6+ (45.Txc2?! Txb3 46.e6+! fxe6 47.Txb3 Dxb3 48.De5 remis) 45… fxe6 46.Sd4 Le4 47.Sxb5 cxb5 und Schwarz lebt. 45.Dh4 Kc8 46.Df6 Dd7 Droht schlicht 47… Dxh3+ nebst Matt. 47.Kh2 De6 48.Dh8+ Kd7

49.Sd4!! Ein phantastischer Zug! Alles hängt, und doch kann Schwarz nirgends ohne Schaden zugreifen. 49…Txb2 Wenn 49…Txh8, so zuerst 50.Txb4! und dann Tb7+ mit Rückgewinn der Dame. 50.Dxb8! Die Pointe! 50…Txb8 51.Txb8 Kc7 52.Sxe6+ Kxb8 Das Endspiel guter Springer gegen schlechter Läufer ist glatt gewonnen. 53.Sd4 Kc7 Der schwarze König ist an den c-Bauern gebunden, die weißen Königsflügelbauern beginnen zu laufen. 54.g4 h4 55.c3 Kd7 56.Kg1 Kc7 57.Kf2 Kd7 58.f5 gxf5 59.gxf5 Kc7 60.Ke3 Lg2 61.Sf3 Der Rest ist einfach. 61…Lxh3 62.Sxh4 Lg4 63.Kf4 Le2 64.Sf3 Lxf3 65.Kxf3 1-0