EDITORIAL

LIEBE KARL-LESER,

im Vorwort zu seinen Einhundert ausgewählten Partien fragt Botwinnik: „Wie bereite ich mich vor?“ und antwortet: „Das war nie ein Geheimnis … Das beste Elixier ist 15 bis 20 Tage in der frischen Luft auf dem Land.“

Ein erstaunlicher Rat des 6. Weltmeisters, der als Meister der Vorbereitung gilt. Diese Aussage zeigt, dass die Eröffnungsvorbereitung, die die meisten Schachspieler heute mit unserem Schwerpunktthema assoziieren, nur ein Bruchteil einer professionellen Herangehensweise ist. Das Feld ist deutlich weiter. Neben den schachintrinsischen Aspekten wie Variantenstudium und Analyse des gegnerischen Spielstils gibt es zahlreiche „weiche“ Faktoren, die einen Spieler physisch und psychisch in die richtige Wettkampfstimmung bringen können.

Wie wichtig die richtige Einstellung ist, weiß Mentalcoach Werner Schweitzer, der im Interview mit KARL viele praktische Tipps gibt, die einem vor Beginn und während der Partie helfen können, sein Potential abzurufen. Und die Gesundheits- und Fitnessberaterin Vera Sebold erklärt, welche Ernährung sich positiv auf die Konzentrationsleistung auswirkt.

Wie sich die Schwerpunkte bei der Vorbereitung auf WM-Matches in den letzten 125 Jahren verändert haben, zeigt Mihail Marins Beitrag. Während Steinitz und Tschigorin noch sukzessive Variantenverbesserung betrieben, spielte Aljechin gezielt auf die Schwächen Capablancas. Und Michael Negele kann am Beispiel des WM-Matches 1908 zeigen, wie schon Weltmeister Emanuel Lasker vor seiner Begegnung mit Tarrasch mentale und gesundheitliche Aspekte mit in seine Planung einbezog.

Für die drei deutschen Schachlegenden Klaus Darga, Helmut Pfleger und Hajo Hecht war Vorbereitung eher ein Fremdwort. In den fünfziger und sechziger Jahren gab es schlicht kein Material zu den Gegnern. Erst der Informator brachte eine kleine Veränderung. Vorbereitung hatte zu jener Zeit mehr Bedeutung für Hängepartien, die heute obsolet sind, damals aber ein steter Begleiter der Turnierpraxis waren.

Spätestens mit dem Computer hat sich die Partievorbereitung radikal verändert. Der ehemalige Weltranglistendritte Artur Jussupow sprach mit KARL über den methodischen Wandel, angefangen von seinem Lehrer Botwinnik, über Jussupows eigene Vorbereitung auf Kandidatenmatches mit seinem Trainer Dworetski bis hin zu seinem jetzigen Schüler Vincent Keymer.

Jens Hüttmann beschreibt in seiner einfühlsamen Hommage an Christian Zickelbein, der kürzlich seinen 80. Geburtstag feierte, wie die jahrzehntelange engagierte Jugendarbeit des Hamburger SK Schüler zu verantwortungsvollen Bürgern machte – Vereinsleben als Vorbereitung aufs Leben!

Schließlich stellt Bernd-Peter Lange in diesem Heft einen wichtigen Fund vor. In den Archiven der British Library in London entdeckte er den Originalabdruck der Partie Marks – Meyer, die für lange Zeit fälschlich Karl Marx zugeschrieben wurde.

Harry Schaack