EIN MEISTERWERK

Von Harry Schaack

Forsters Amos Burn Cover

Richard Forster,
Amos Burn.
A Chess Biography.
McFarland 2004,
Hardcover, 972 S.,
etwa 80,- Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Die von dem Schweizer Schachhistoriker und Internationalen Meister Richard Forster vorgelegte Biographie von Amos Burn ist eines der Bücher, die im Titel weniger versprechen als sie halten. Der Autor würdigt nicht nur den Lebensweg eines heute fast vergessenen englischen Schachspielers, sondern schreibt im doppelten Sinne Schachgeschichte: sowohl inhaltlich als auch durch die Bedeutung des vorliegenden Mammutwerkes, das einen Umfang von fast 1000 großformatigen Seiten hat. Diese Publikation setzt Maßstäbe, die für künftige Generationen nur schwer zu überbieten sein werden.

Seit einiger Zeit hat Forster das praktische Spiel zugunsten seiner Schachgeschichtsforschung (und seines Studiums) zurückgestellt. Zunächst betreute er eine viel beachtete Kolumne auf Chesscafe.com., doch mittlerweile hat er seine eigene Seite (www.chesshistory.com) ins Netz gestellt, die längst zu einem Forum für Schachhistoriker aus aller Welt geworden ist.

Am Ausgangspunkt seiner Beschäftigung mit Amos Burn stand die Anfrage eines Verlages. Eigentlich sollte er nur ein kleines Büchlein über den Engländer modernisieren, doch rasch wuchs sich die Arbeit aus. Seine eigene Forschung führte ihn bald in zahlreiche Bibliotheken und Archive. Als Ergebnis seines über 5000-stündigen Zeitaufwandes entstand ein einzigartiges Werk, zu dem es kaum etwas Vergleichbares in der Schachliteratur gibt.

Das Buch ist die Würdigung eines Mannes, der erst mit 16 Jahren das Schachspiel erlernte. Obwohl Burn schnell zu einer der besten Spieler Englands aufstieg, blieb er Amateur und widmete sich seiner beruflichen Karriere. Mit Steinitz verband ihn eine lebenslange Freundschaft. Die neuen Ideen des Weltmeisters adaptierte Burn, entwickelte aber seinen eigenen Schachstil, der sich durch eine umsichtige Defensive auszeichnete. Erst im Alter von 38 Jahren nahm er zunehmend an internationalen Turnieren teil und zählte fortan zu den zehn besten Spielern der Welt. Seinen größten Erfolg feierte er im Alter von 50 Jahren 1898 in Köln, als er vor Tschigorin, Steinitz und Schlechter das starke Feld dominierte. In den letzten Jahren seines Lebens betreute er die berühmteste Schachkolumne des Landes in The Field.

Forsters chronologische in 21 Zeitabschnitte eingeteilte Darstellung führt nicht nur jedes Detail eines 77-jährigen Lebens auf, sondern versteht es, durch die Geschichte dieses Mannes das zeitgenössische Schachgeschehen wiederauferstehen zu lassen. So wird dieser Foliant nicht nur zu einer ultimativen Burn-Biographie, sondern zu einem unentbehrlichen Nachschlagewerk der Schachgeschichte. Die fesselnde Präsentation der Fakten lässt die Person Amos Burns lebendig werden und durch zahlreiche Exkursionen zu Kontrahenten wie Randfiguren entsteht eine dichte Atmosphäre der Schachwelt einer vergangenen Epoche. Der Autor präsentiert dabei seltene oder nie zuvor gezeigte Originaldokumente, die er in seinen Recherchen aufspürte. Ein Höhepunkt seiner Suche war die Entdeckung einer „vergessenen“ Partie im Archiv des Liverpooler Chess Clubs.

Die durch akribische Detailtreue bestechende Arbeit gibt dem Leser darüber hinaus interessante Zusatzinformationen an die Hand. So sind z.B. die Preisgelder bei zahlreichen Turnieren mit aufgeführt. Ferner werden die Modalitäten der früher üblichen Handicap-Turniere sowie die Einführung von Zeit/Zug-Begrenzungen erläutert. Die Schachcafes Londons werden ebenso beschrieben wie die Geschichte der Clubs in der britischen Kapitale. An anderer Stelle geben die Haushaltspläne der Burns Einblick in die wirtschaftliche Situation einer Familie mit sechs Kindern. Zudem sind die zahlreichen Abbildungen alleine schon ein beeindruckender Fundus. Durch die Einbeziehung ausführlich zitierter Originalkommentare führender Spieler jener Zeit gelingt zudem ein Beitrag zur Ideengeschichte des Schachspiels. Zitate und Zeitungsartikel machen deutlich, welche widerstrebenden Positionen den schachimmanenten Diskurs am Ende des 19. Jahrhunderts bestimmten. Dazu tragen auch die über 900 exzellent und durchweg sprachlich kommentierten Partien bei, die den Stand des Schachwissens von 1870 bis zu Burns Tod 1925 dokumentieren.

Dieses umfassende Werk ist ein großer Wurf, mit dem sich der Autor ein Denkmal gesetzt hat. Amos Burn – A Chess Biography ist eines der besten Schachbücher, die je geschrieben wurden.