KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

HELMUT PFLEGER PLAUDERT

Von FM Johannes Fischer

Pfleges Schachpuzzle-Buch Cover

Helmut Pfleger,
Schachpuzzle-Buch:
Amüsante Aufgaben – überraschende Lösungen aus DIE ZEIT,
bearbeitet und zusammengestellt von Rudolf Teschner,
Zürich: Edition Olms, 2002,
Paperback 128 Seiten,
15 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

„Huch, wie niedlich.“ Das war der unwillkürliche Kommentar einer Freundin von mir, als ihr Blick auf das Schachpuzzle-Buch fiel. Helmut Pflegers Charme hatte wieder einmal gewirkt. Es ist wohl kein Zufall, dass diese Freundin die Schachregeln kennt, aber kaum spielt. Pfleger schafft es immer wieder, das breite Publikum für das Spiel zu begeistern. Seit mehr als zwanzig Jahren moderiert er Schachsendungen im Fernsehen und plaudert sich durchs Schachgeschehen. Meist wird er dabei von seinem Großmeisterkollegen Vlastimil Hort begleitet. Bei Analysen fungiert Hort als Sherlock Holmes, der für die komplexen Dinge zuständig ist, während Pfleger bereitwillig in die Rolle des Dr. Watson schlüpft. Er stellt naive Fragen und macht Kompliziertes verständlich.

Man vergisst leicht, wie gut Pfleger eigentlich spielt. Mittlerweile ist er kaum noch aktiv, aber früher gehörte er zur deutschen Spitze und auch heute noch wäre er für fast jeden ein gefährlicher Gegner. Er war nie ein großer Theoretiker, aber besaß viel taktisches Gespür und behauptete sich auch gegen Weltklasseleute. Profi wurde Pfleger nie. Er studierte Medizin, wurde Arzt und Psychotherapeut und blieb diesem Beruf treu.

Neben seinen Fernsehauftritten ist Pfleger als Autor und Co-Autor zahlreicher Bücher bekannt geworden. Sie widmen sich u.a. Themen wie dem Computerschach, dem Phänomen Polgar oder aktuellen Schachereignissen. Zusammen mit Gerd Treppner schrieb er So denkt ein Schachmeister, eine aufschlussreiche und lesenswerte Untersuchung über die Denkprozesse der Großmeister und Brett vor’m Kopf, eine flott geschriebene Darstellung der Geschichte der Schachweltmeister. Außerdem plaudert Pfleger in der ZEIT einmal wöchentlich aus der Welt der Meister.

Eine Auswahl von 100 dieser Kolumnen aus den Jahren 1997 bis 2001 versammelt das neue Schachpuzzle-Buch. Der Umschlagtext spricht von einem „Schmunzelbuch“ und in bewährtem Stil erzählt Pfleger alte und neue Anekdoten. Er schreibt u.a. über Najdorfs Nase, das Blindspiel und erwähnt, dass Furman, der Trainer von Karpow, ein stiller und leiser Mensch war; außerdem erfährt man, dass der russische Großmeister Wasjukow drei Mal die gleiche Frau geheiratet hat; andere beliebte Themen Pflegers sind das Computerschach, Judit Polgar, die Launen Garri Kasparows und natürlich „der ewig junge, beste Schachopa der Welt“ Viktor Kortschnoi. Dabei greift Pfleger auf einen bewährten Fundus zurück. Gerne zitiert er aus Schachbüchern und Werken der Weltliteratur oder bezieht sich auf aktuelle Turnierberichte aus deutschen und internationalen Schachzeitschriften. Am Ende jeder Kolumne steht eine Aufgabe. Die meisten von ihnen sollten für einen geübten Vereinsspieler kein Problem darstellen, aber die eine oder andere ist dann doch nicht so leicht zu lösen.

Pflegers Art über Schach zu plaudern ist so bekannt, dass man weiß, was man an ihr hat. Dieses Buch ist da nicht anders. Seine Fans wird es nicht enttäuschen und es wird mit Sicherheit viele Leute für das Schach gewinnen. Mir allerdings war es bei allem Amüsement des Guten irgendwann zu viel. Es war, als würde einem im Restaurant immerzu Nachtisch serviert. Da ich gerne Süßes esse, und mich nicht dem Verdacht aussetzen möchte, humorlos zu sein, habe ich versucht, herauszufinden, was mir an diesen Kolumnen nicht behagt. Ich glaube, es ist die allzu harmlose Darstellung der Schachwelt.

Es ist wohl kein Zufall, wenn Rudolf Teschner, der die Kolumnen für dieses Buch ausgewählt und bearbeitet hat, bereits in der Einleitung betont, dass Pfleger stets Amateur geblieben ist. Als Spieler wie als Kolumnist nimmt Pfleger das Schach nicht gar so ernst. Die von ihm entworfene Schachwelt ist nett und überschaubar. Im Gegensatz zu vielen Autoren, die im Schachspieler gerne das Genie sehen, das dem Wahnsinn nahe ist, betont Pfleger andere Aspekte, um das Spiel einem breiten Publikum nahe zu bringen. Das Dämonische weicht dem Amüsanten und auch die größten Dramen werden noch in eine Anekdote gepresst. Die Schachprofis erscheinen als leicht verschrobene, aber liebenswerte Gesellen, die aus irgendeinem Grunde, der den Normalbürgern verborgen bleiben muss, diesem Spiel verfallen sind. Sie sind mit Nachsicht zu behandeln, wie Kinder. Es gibt den einen oder anderen Streit, Querelen und Missstimmungen, aber am Ende sind alle wieder versöhnt.

So angenehm es ist, bei einem Besuch in der Schachwelt einmal nicht mit manischen Verrückten konfrontiert zu werden, die das Ego ihrer Gegner zerstören wollen, oder glauben, gegen Gott spielen zu können, so scheint mir Pflegers Sicht auf andere Art einseitig. Ich jedenfalls habe mir beim Lesen dieser Kolumnen irgendwann eine Darstellung des Schachspiels und der Schachspieler gewünscht, die zeigt, wie ernst man dieses Spiel nehmen kann. Als Sport, als Kunst, als Wissenschaft. Und Geschichten von Schachspielern, die sich und das Schach respektieren und dadurch respektiert werden können. Aber vielleicht liegt das nur an meiner eigenen Verstrickung in diese Welt.

Wie ernst man Pfleger als Schachspieler nehmen sollte, erfuhr der spätere Weltmeister Alexander Khalifman jedoch Mitte der 90er Jahre in der Bundesliga. In der folgenden Stellung hatte Pfleger Weiß und war am Zug. Wie wurde der gemütliche Plauderer jetzt auf einmal ungemütlich?

PFLEGER – KHALIFMAN
Bundesliga 1996

Antwort: Mit 31.e5! Durch dieses Bauernopfer befreit Weiß seinen Lg2 und verhilft den Bauern am Damenflügel zu durchschlagender Kraft. 31…dxe5 32.c5 Lg7 33.Te2 Tdc8 34.Tc2 Lf8 35.b6 Dd7 36.c6! Der entscheidende Vorstoß: Schwarz verliert Material. 36…bxc6 36…Lxb4 37.cxd7 Txc2 38.Dxb4 37.Lxf8 Txf8 38.Lxc6 Dd8 38…Dc8 39.b7 39.Lxa8 Dxa8 40.De7 Df3 41.Dxe6+ Tf7 42.Te1 1-0