KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

WAS TUN GEGEN SIZILIANISCH?

von Frank Roeberg

Collins The c3-Sicilian Cover

Sam Collins,
Chess Explained: The c3 Sicilian.
A New Approach to Understanding the Chess Openings,
Gambit 2007, 111 Seiten, Englisch,
15,99 Euro

Fighting the Anti-Sicilian Cover

Richard Palliser,
Fighting the Anti-Sicilians:
Combating 2.c3, the Closed, the Morra Gambit and Other Tricky Ideas,
Everyman Chess 2007, 254 Seiten, Englisch
16,45 Euro

(Die Belegexemplare wurden  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Jeder 1.e4-Spieler muss sich beim Aufbau seines Eröffnungsrepertoires irgendwann dieser höchst unangenehmen Frage widmen – manche tun es auch immer wieder. Die attraktivste Option ist mit Sicherheit der Offene Sizilianer, aber eben auch die theorielastigste. Dem Nachziehenden steht hier eine Fülle von Hauptsystemen zur Verfügung – und wir werden in gewisser Weise immer gegen einen Experten spielen. Dummerweise nimmt dabei das Spiel oft einen sehr konketen Charakter an und es fällt schwer, sich mit allgemeinem Schachverständnis im Variantendickicht zu orientieren. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Weißspieler kleinere Brötchen backen und dem Problem mit einer Spezialvariante beizukommen versuchen. Diese Entscheidung scheint psychologisch auch sehr gut motiviert zu sein, denn als Anziehender hegt man den berechtigten Wunsch, das Gesetz des Handelns zu bestimmen. Aber für welche Variante soll man sich dabei entscheiden, und was sind die „Sizilianischen Spezialitäten“ wirklich wert? Ich möchte heute zwei Bücher besprechen, die sich dieser Frage annehmen.

Chess Explained: The c3 Sicilian.
A New Approach to Understanding the Chess Openings von Sam Collins

Der irische IM Sam Collins beginnt seine Untersuchung mit einer Rechtfertigung für die Wahl des c3-Sizilianers – offenbar treibt es seriösen Spielern doch immer noch eine leichte Schamesröte ins Gesicht, wenn sie schon im zweiten Zug klein beigeben. Sein Für und Wider und insbesondere die Feststellung, dass ein weißer Eröffnungsvorteil weder im Offenen- noch im c3-Sizilianer jemals herausanalysiert wurde, klingen aber durchaus plausibel. (Vielleicht ist ja Alexander Khalifman anderer Meinung – warten wir es ab)

In der Tat ist 2.c3 die beliebteste Methode, den Hauptabspielen auszuweichen. Das erklärt sich sicher aus dem Umstand, dass dem Schwarzen hier sehr konkrete Probleme aufgetischt werden, für deren Lösung es kein einfaches Standardrezept gibt. Das Buch gliedert sich in drei Hauptabschnitte, in denen die Anworten 2…Sf6, 2…d5 und schließlich andere Entgegnungen anhand von aktuellen Meisterpartien untersucht werden. Mit 12 von 25 Partien beansprucht dabei 2….Sf6 den Bärenanteil für sich.

Wie immer in der Chess Explained Reihe beginnen die Kapitel mit einer kurzen Übersicht zu den anstehenden Partien und enden mit einer Zusammenfassung der aufgezeigten Probleme. Diese Struktur erleichtert dem Leser eindeutig die Orientierung. Das Partiematerial ist relativ aktuell und macht einen gut gewählten Eindruck – es kommen ausnahmslos Experten des c3- Sizilianers, wie beispielsweise Sergei Tiviakov oder Dusan Pavasovic, ans Brett. Die Einschätzungen des Autors zu einzelnen Abspielen mögen mitunter streitbar sein, aber das lässt sich bei einer aktuellen und sehr konkreten Eröfnung auch nicht vermeiden. Collins Hauptleistung besteht m.E. darin, uns die Ideen und Probleme des c3-Sizilianers auf gut strukturierte Weise darzustellen – das ist ihm hervorragend gelungen. Daher kann ich das Buch jedem Einsteiger in den 2.c3 Komplex empfehlen, auch wenn einzelne Detailarbeit sicher noch vonnöten ist. Der einzige kleine Mangel besteht darin, dass die trickreiche Zugfolge 2.Sf3 und 3.c3 zwar angesprochen wird, aber keinen Platz mehr unter den analysierten Partien gefunden hat. Dennoch wäre für mich das Collinssche Werk aufgrund seiner Aktualität und Übersichtlichkeit den vielen, detailierteren Vorgängern vorzuziehen, wenn man eine ergänzende Datenbankarbeit in Betracht zieht.

Fighting the Anti-Sicilians:
Combating 2. c3, the Closed, the Morra Gambit and Other Tricky Ideas von Richard Palliser

Wir wechseln nun die Brettseite und bekämpfen mit Richard Palliser in neun Kapiteln die Versuche des Weißen, den Sizilianischspieler aufs Glattes zu führen.

Das erste Kapitel nimmt sich gleich des c3-Problems an und ist mit knapp 60 Seiten recht ergiebig. Empfohlen wird die Antwort 2…d5 da hiermit dem Anziehenden die größten Verpflichtungen auferlegt werden. Es werden sowohl Abspiele mit eingesperrten, wie mit entwickeltem Läufer c8 untersucht, sodass der Leser noch eine gewisse Auswahl hat. Auf die Zugfolge 2.Sf3 wird ebenfalls eingegangen. Im zweiten Kapitel werden dann die Besonderheiten der Zugfolge 2.Sc3 und 3.Sf3 aufgezeigt. Als trickreiche Entgegnung empfiehlt Palliser 2…a6, was nicht jedermanns Geschmack treffen dürfte. Im Zweifelsfall kann sich der Schwarzspieler aber natürlich auch gemäß seiner Hauptvariante aufbauen. Das dritte Kapitel behandelt den Geschlossenen Sizilianer und stellt für mich eines der wertvollsten des Buches dar. Hier räumt Palliser mit dem eingefleischten Vorurteil auf, dass nur der Aufbau e6/Sge7 solide sei. In der Tat scheint Schwarz mit dem empfohlenen Sf6 (was nach dem berühmten Spasski-Geller Match zu unrecht in Mißkredit geraten war) wesentlich mehr aktive Chancen entwckeln zu können. Das vierte Kapitel nimmt sich des Grand Prix Angriffes an. Hier strebt Schwarz frühes d5 an und verzichtet in vielen Abspielen auf das Läuferfianchetto. Im fünften Kapitel werden noch ein paar ungewöhnliche Zugfolgen nach 2.Sc3 abgehandelt, wobei hier eher auf Zugumstellungsprobleme hingewiesen wird. Strukturell betrachtet, hätte ich dieses Kapitel lieber mit dem Zweiten verknüpft gesehen, um etwas mehr Übersichtlichkeit zu gewinnen. Der sechste Abschnitt beschäftigt sich mit den Zugfolgen 2.d3 und 2.g3, wobei letzteres konkret mit 2…d5 beantwortet wird. Im siebten Kapitel treffen wir auf den Zug 2.b3, den Palliser mit einem relativ frühen Sf6 bekämpfen möchte.Schließlich nimmt sich das achte Kapitel des Morra- und des Flügel- Gambits an, ehe zum Schluss noch einige selten vorkommende zweite Züge des Weißen betrachtet werden.

Insgesamt gesehen scheint mir der Sizilianischspieler mit diesem Buch sehr gut versorgt zu sein. Im Vergleich zum berühmten Vorgängerwerk Jo Gallaghers besticht einmal mehr Pallisers Objektivität in den Analysen. Vielleicht wird gerade dies die Popularität des Buches mindern, denn wir lesen ja lieber von einfachen und beeindruckenden Siegen als von komplexen Mittelspielkämpfen. Ganz klar zu Pallisers Gunsten spricht aber auch der immense Umfang der verarbeiteten Literatur. Dabei ist er durchaus sehr aktuell – auch das oben besprochene Werk von Collins hat er schon verarbeitet.

FAZIT

Sehr gutes Preisleistungsverhältnis – unbedingt Kaufen!