KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

EIN GROSSMEISTER-REPEROIRE!

von IM Erik Zude

Avrukh Grandmaster Repertoire 1. d4, Vol 1 Cover

Boris Avrukh
Grandmaster Repertoire 1. d4, Volume One
Tired of bad positions? Try the main lines!
Quality Chess 2008,
Paperback, 458 Seiten,
24,99 Euro

(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

Der Quality Chess Verlag hat in den vergangenen Jahren neue Maßstäbe im Schachbuchmarkt gesetzt. Mit San Louis 2005 von Gershon und Nor wurde das erste Mal seit langer Zeit wieder ein ausführliches Turnierbuch für höchste Ansprüche herausgegeben. Besonders erfolgreich war das preisgekrönte Lern from the Legends von Marin. Aber auch im Bereich der Eröffnungsliteratur konnte der Verlag mit bester Qualität glänzen, z.B. mit Marins Schwarz-Repertoire gegen 1.e4.

Mit der „Grandmaster Repertoire Series“ startet Quality Chess nun eine Reihe von Eröffnungsbüchern für … ja, für wen eigentlich? Für Großmeister? So sieht jedenfalls Boris Avrukhs dickes Handbuch zu 1. d4 auf den ersten Blick aus. Auf über 450 Seiten werden eine Vielzahl von Varianten höchst ausführlich analysiert. Lange verbale Erklärungen finden sich wenige, dafür gibt es meist kurze Anmerkungen, die die wichtigsten Stellungsmerkmale herausheben. Zu viele Züge und zu wenig Text für Amateure? Ja und Nein!

Im Vorwort der Herausgeber beschreiben Jacob Aagard und John Shaw die Motivation für eine neue Serie von Eröffnungsbüchern. Die früher einmal üblichen Monographien sind praktisch ausgestorben. Ersetzt wurden sie von einer Flut von „Starting-Out“- Büchern, die sich auf die Grundlagen beschränken. Was der Leser sonst noch benötigt, muss er sich selbst aus Datenbanken heraussuchen. Die Herausgeber möchten jetzt Schach-Fans die „high-level“- Eröffnungsbücher anbieten, die sie selbst schon seit Jahren vermissen.

Shaw und Aagard betonen, dass die neue Serie von Großmeistern geschrieben, von Großmeistern redigiert und auch von Großmeistern gelesen werden wird. Ihrer Meinung nach können aber auch andere Schachspieler davon profitieren. Sie weisen darauf hin, dass man beim Eröffnungsstudium durchaus nicht alles erinnern kann und muss, was im Buch steht; am wichtigsten ist die Qualität der Züge – und das vermittelte Stellungsverständnis, sollte man noch hinzufügen.

Boris Avrukh legt in 1.d4 Volume One sein eigenes, über die Jahre hinweg gewachsenes Weiß-Repertoire offen. Es basiert auf Katalanisch (1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.g3). Er erklärt, dass diese Eröffnung zu unrecht als sehr ruhig gilt. Ähnlich wie in Spanisch kann sich auch hier sehr zweischneidiges Spiel ergeben, abhängig von der Reaktion des Nachziehenden. Gegen Slawisch empfiehlt Avrukh das momentan bei Top-Großmeistern sehr populäre 4.e3. Wer lieber Botwinnik-Variante und Anti-Moskauer Gambit spielen möchte, sollte Lars Schandorffs im selben Verlag erschienenes Play the Queen’s Gambit – A Grandmaster Guide zu Rate ziehen. Gegen das angenommene Damengambit, die Tschigorin-Verteidigung sowie seltene Nebenvarianten wählt er dann wieder die schärfsten Widerlegungsversuche. Andere schwarze Eröffnungen werden im zweiten Band behandelt, der im Mai erscheinen soll.

Die sehr ausführlichen Analysen Avrukhs machen schnell klar, dass der Band nicht zum lässigen Zeitvertreib geschrieben wurde. Der Autor stellt eine Vielzahl von aktuellen Varianten vor, in fast jedem Abschnitt wartet er mit mehreren theoretische Neuerungen auf, die dem Nachziehenden das Leben schwer machen. z.B. im angenommenen Damengambit: In der Hauptvariante nach 1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e3 Sf6 4.Lxc4 e6 5.Sf3 c5 6.0-0 a6 7.Lb3 b5 8.a4 b4 analysiert Avrukh die scharfe Angriffsfortsetzung mit dem Bauernopfer 9.e4 in allen Varianten zu klarem Vorteil irgendwo jenseits des 20. Zuges. Wer es nicht glaubt und seinen Computer mitrechnen lässt, sollte dem gelegentlich etwas „Extra“-Zeit geben; Avrukhs Analysen sind sehr ausgefeilt!
Die Anhänger des angenommenen Damengambits haben dann gleich auch noch einiges an Reperatur-Arbeit für ihr Schwarz-Repertoire zu leisten.

Trotz des großen Materialangebots ist es dem Verlag gelungen, den Band übersichtlich zu gestalten. Die meisten Kapitel sind etwa 15 bis 20 Seiten lang. Jedem ist ein eigener Variantenindex vorangestellt.

FAZIT

Boris Avrukh stellt eine Fülle von starken Plänen vor und untermauert sie mit einem Variantengerüst, das seinesgleichen sucht. Das Buch setzt in der Tat neue Maßstäbe! Durch die sehr knapp gehaltenen Erläuterungen fordert der Band dem Leser mehr an Mitdenken ab als das typische „Starting Out“ – Buch. Er liefert dafür aber auch viel Trainingsmaterial zur Schulung des Stellungsverständnisses. Braucht man so viel? Eigentlich nicht. Aber wer es schafft, sich aus dem Überangebot das zur jeweiligen Zeit passende herauszusuchen, kann viel lernen und ein Repertoire für Jahre finden.

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Inhalt

The Catalan    
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.g3      13
The Slav   
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 (Sf6 4.e3)      247
The Queen’s Gambit 
1.d4 d5 2.c4      343
The Queen’s Gambit Accepted   
1.d4 d5 2.c4 dxc4 3.e3      405
Index of Variations      450