KOLUMNE

Die Karl-Kolumne ergänzt die Printausgabe des Karl. Die Kolumne präsentiert Rezensionen aktueller und alter Schachbücher, Betrachtungen über die Literatur, Kultur und Psychologie des Schachs und gelegentliche Kommentare zum aktuellen Schachgeschehen.

 

SOLIDE EINFÜHRUNG FÜR ANFÄNGER

Von FM Joachim Wintzer

The Cambridge Springs Cover

John Shaw,
Starting Out: The Queen’s Gambit,
Everyman Publishers 2002,
Sprache: Englisch,
Paperback, 144 S.,
20,35 Euro

​(Das Belegexemplar wurde  freundlicherweise von der Firma Niggemann zur Verfügung gestellt.)

ÜBER DEN AUTOR

Der schottische IM John Shaw (Elo um 2500) hat bereits drei Mal die Meisterschaft seines Landes gewonnen. Von den 62 Partien, die ich in meiner Datenbank zu seinem Untersuchungsgegenstand gefunden habe, hat er mit den schwarzen Steinen respektable 64 Prozent und eine Eloleistung von 2590 erspielt. Dies ist sein erstes Schachbuch.

DIE REIHE „STARTING OUT“

Wie ich in meiner Besprechung zu Wards in derselben Serie erschienen Buches über Nimzo-Indisch ausgeführt habe, wendet sich die Reihe „Starting Out“ gemäß dem Vorwort an den uner-fahrenen Spieler mit Grundkenntnissen („inexperienced or slightly more experienced player“), der sich die Grundideen einer Eröffnung erst einmal aneignen will. In dieser Besprechung ließ ich offen, ob Wards Buch typisch für diese Reihe ist. Wenn meine Urteilsmaßstäbe nicht gänzlich anders als die anderer Rezensenten sein sollten, so kann diese Frage inzwischen verneint werden. Das in derselben Reihe von Gallagher verfasste Buch über Königsindisch wurde von der Kritik übereinstimmend gelobt.

GLIEDERUNG

Das Damengambit im engeren Sinn bezeichnet die beiden Spielweisen, die nach 1.d4 d5 2.c4 entstehen: das abgelehnte Damengambit mit 2…e6 und das angenommene Damengambit mit 2…dc. Wie die Gliederung zeigt, behandelt Shaw auch Slawisch, die Tschigorin-Verteidigung, Albins Gegengambit und die Verteidigung 2…Lf5. Nach dem ECO-System sind dies D10 bis D69.

Introduction (2 Seiten)
1.d4 d5 2.c4
The Queen’s Gambit Declined (16 Seiten)
The Queen’s Gambit Declined Exchange Variation (15 Seiten)
The Tarrasch Defence (15 Seiten)
The Semi-Slav Defence (14 Seiten)
The ‚Triangle‘ Move Order (10 Seiten)
The Slav Defence (20 Seiten)
The Queen’s Gambit Accepted (20 Seiten)
The Chigorin Defence (9 Seiten)
Odds and Ends (11 Seiten)
Index of Complete Games (2 Seiten)
Index of Variations (2 Seiten)

Aus Sicht des Rezensenten ist es erfreulich, dass endlich einmal ein Variantenverzeichnis enthalten ist, durch welches dem Leser das schnelle Auffinden der behandelten Varianten erleichtert wird.

EINFÜHRUNG IN DAS DAMENGAMBIT

Das orthodoxe Damengambit mit 2…e6 gehört zu den solidesten schwarzen Verteidigungen. Bevor sich die indischen Verteidigungen wie Nimzo-, Bogo- und Damenindisch ab den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts bzw. Königsindisch und Grünfeldindisch nach dem Zweiten Weltkrieg durchsetzten, verteidigten sich die Schwarzspieler mit der Lasker-Variante, der Tartakower-Variante oder Capablancas Entlastungsmanöver. Slawisch erfreut sich seit den neunziger Jahren wieder großer Beliebtheit. Aufgrund der unterschiedlichen Spielweisen und Stellungstypen haben Schachbuchautoren darauf verzichtet, eine allgemein gehaltene Einführung in die geschlossenen Eröffnungen zu veröffentlichen – von zwei Ausnahmen abgesehen. Eine Ausnahme ist Karpows 1989 im Walter Rau Verlag erschienenes Wie spielt man geschlossene Eröffnungen?. Karpow präsentierte auch Partien zur Englischen und zur Reti-Eröffnung. Seine Erklärungen waren für den fortgeschrittenen Spieler geschrieben, der über mehr als nur Grundkenntnisse verfügt. Ludek Pachmanns Das Damengambit (3. Aufl. 2001) enthält eine gewaltige Fülle von Analysen mit nur wenig Worterklärungen.

PRÄSENTATION DES MATERIALS

Ich verweise noch einmal auf meine Rezension zu Wards Nimzo-Indisch-Buch aus derselben Reihe. Jedes Kapitel beginnt mit einer mehrseitigen Einführung, in welcher die Standardpläne erläutert werden. Anschließend folgen ausführlich kommentierte Partien. Auffällig wieder die Entscheidung, Diagramme nebeneinander zu setzen statt jeweils an die Stelle, wo die Diagrammstellung entsteht.

Auch Shaw arbeitet mit denselben Symbolen wie Ward: Warnungen (durch ein Totenkopfzeichen gekennzeichnet), Tipps (Glühbirne) und Notizen (Klemmbrett). Einige Beispiele:

Tipp: „A material advantage becomes more significant the fewer pieces are on the board.“
Tipp: „In the Tarrasch the fact that Black’s d-pawn is often a weakness can cause the White player to miss tricks based on …d4-d3.“
Tipp: „The player with the safer king should generally avoid a queen exchange.“
Warnung: „If you play a heavily theoretical line without due preparation your opponent may win without playing a move on his own.“
Notiz zu einer Partie in der Abtauschvariante: „…Lf5 supported by …g7-g6 and a knight is standard in the Q[ueens[ G[ambit] E[xchange Variation], but often …Sf8-e6-g7 is the supporter.“
Notiz: „In positions where there is only one open file a double exchange of rooks is very common.“

Shaw geht mit seinen hervorgehobenen Hinweisen wesentlich spärlicher um als Ward. Beide Autoren vermengen allgemeine Hinweise (Banalitäten) mit speziellen Hinweisen zu der Variante. Hinweise wie zum Springermanöver in der Abtauschvariante hätten wesentlich häufiger eingestreut werden können.
Das Partienmaterial ist neueren Datums, d.h. größtenteils aus den letzten 4 Jahren. Die älteste Partie stammt aus dem Jahre 1978. Von den Partien eines Tarraschs, eines Rubinsteins oder eines Capablancas erfährt der Leser nichts. Ein Frage- und Antwortspiel wie bei Ward fehlt.

FAZIT

Starting Out. The Queen’s Gambit bietet einen ersten allgemeinen Überblick in alle Verzweigungen des Damengambits für Spieler bis etwa DWZ 1800. Shaws Werk gefällt mir hinsichtlich der Umsetzung der Konzeption besser als das Buch von Ward, reicht aber nicht an Gallaghers Königsindisch-Buch in derselben Reihe heran. Wer sich das Buch zulegen will, sollte auf den beachtlichen Preisunterschied zwischen Euro und Dollar achten und ihn sich zunutze machen.